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Masala Highway

Titel: Masala Highway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel A Neumann
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den Händen essen, und das sehr geschickt, konsequent auf eine Hand zu verzichten. Verwechselt man die Falsche doch einmal mit der Richtigen, wird zwar niemand mit dem Finger auf einen zeigen – noch eine unerhörte Geste. Aus Höflichkeit spricht auch niemand den Unhold darauf an. Denn das würde den Gast sein Gesicht verlieren lassen, was auch für den Gastgeber peinlich wäre. Gesehen wird es aber – und Maheesh zweifelt vermutlich noch heute an meiner Kinderstube.
    Allerdings wird Ausländern viel nachgesehen – nicht nur aus Höflichkeit, sehr oft auch einfach aus der herzensguten Überzeugung vieler Inder, dass alle Menschen Fehler machen. Der Gast ist Raja 2 ! Umso mehr, wenn er zumindest versucht, nicht völlig aus der Reihe zu tanzen. Was beispielsweise das Essen mit den Händen angeht, kann es manchmal die beste Lösung sein, einfach nach Messer und Gabel zu fragen. Vorausgesetzt, man hat sich vorher versichert, dass der Gastgeber – Vorsicht, Gesichtsverlust! – etwas dergleichen im Hause hat.
    Ob links oder rechts – sich zur Begrüßung die Hand zu reichen, ist für viele traditionsbewusste Inder ebenfalls mehr als nur unangenehm. „Das ist wie ein Angriff, nein, das ist eine Verletzung“, erklärte mir Vimal, der befreundete Fotograf. „Man sieht sich, du streckst dem anderen die Hand entgegen, fasst ihn oder sogar sie an – das geht doch nicht!“ Deswegen nicht, weil Berührungen auch mit der Frage der richtigen Kaste verbunden sind – und ob man zufällig selbst zu der gehört oder nicht (als Christ und Ausländer normalerweise nicht), wird schließlich erst nach der Begrüßung klar. Wenn man also nicht will, dass sich derjenige, den man händeschüttelnd empfangen hat, schwarz ärgert, weil er sich danach erst einmal einer rituellen Reinigung unterziehen muss, wartet man zunächst besser ab, wie der andere sich verhält. Legt der oder die andere die Handflächen zum Namaskar 3 aneinander, macht man es einfach genauso.
    Gerade in Bereichen, in denen viele Ausländer unterwegs sind, ob als Touristen oder auf Geschäftsbesuch, gibt es Menschen, die sich das Wissen um die Unterschiede im täglichen Umgang zunutze machen. Auf einem Spaziergang durch die Arkaden des Connaught Place in Neu-Delhi begegnet man das ganze Jahr über Dutzenden Schleppern, die mit einem strahlenden „Hello friend!“ dem gerade aus dem Flugzeug gestolperten Westler die Hand entgegenstrecken und gar nicht mehr loslassen wollen. Dahinter stecken vermutlich keine freundlichen Motive. Am besten ist es, in so einer Situation genauso zu reagieren, wie man es zu Hause wohl auch tun würde: Die Hand des Unbekannten erst einmal ignorieren – und sollte der Schlepper anfangen, einen zu berühren, dagegen deutlich protestieren.
    „Wie passen die gefalteten Hände zur Vorstellung, dass die Linke unrein ist und die Rechte rein?“, frage ich Vimal. Er blickt mich verständnislos an und fängt dann an zu grinsen: „We don't count germs, we count on gods“ – wir zählen keine Bakterien, wir zählen auf die Götter, klärt er mich auf. Dass Krankheiten durch kleine Erreger übertragen werden, ist nicht die Grundlage für die Festlegung, dass man eine Hand, die man zur Körperreinigung verwendet, nicht zum Essen benutzt. „Außerdem wasche zumindest ich mir die Hände – beide“, sagt mir Vimal ein wenig vorwurfsvoll. Seine Linke sei unrein, nicht dreckig, sagt er schmunzelnd. Die Unterscheidung von linker und rechter Hand, Mund und Fuß geht tiefer: Unreines zu berühren und von Unreinem berührt zu werden, hat direkten Einfluss auf das Karma. Kein Wunder also, dass niemand in Sandalen durchs Haus stapft, wenn dadurch die göttliche Ordnung und die eigene Wiedergeburt als Mensch ins Schleudern geraten.
    Kann das auch als Erklärung für die etwas merkwürdige Art von Sauberkeit in öffentlichen Plätzen, wie Restaurants und Hotels, dienen? Wischlappen, die aussehen, als würde mit ihnen seit Eröffnung des Lokals vor zwanzig Jahren die Tische gewischt, Bettlaken, die seit der Abreise des vorherigen Gastes zwar nicht ausgetauscht, aber immerhin gewendet wurden – immer mal wieder wird man Zeuge eines gewissen Bemühens um Hygiene, das aber von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Es passiert nicht selten, dass demonstrativ der Putzlappen geschwungen wird, wenn sich ein Gast in einem Restaurant niederlässt. „Hier können Sie unbesorgt speisen“, soll das Reinigen von Fußboden und Tischplatte signalisieren – in

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