Masala Highway
verhältnismäßig schnell gefahren – und bei einem Unfall haben die Tiere und ihre Lenker keine Chance.
Aus europäischer Sicht mag das Bild des Schlangenbeschwörers eng mit Indien verknüpft sein, doch für die meisten Inder sind die Reptilien nicht so bedeutend wie ein anderes Tier. Fast genauso beliebt wie Ganesha ist in der indischen Volksgläubigkeit der Affengott Hanuman. In der Hindu-Mythologie führt er das Heer der Affen an, rettet die Götter und die Welt. Man kann davon ausgehen, dass alle Affen Indiens diese Geschichten kennen. Zumindest benehmen sich die meisten so, als würden sie sich als die eigentlichen Herrscher des Landes ansehen. Eine auf dem Subkontinent weit verbreitete Art ist der nach dem Gott benannte Hanuman-Langur, im Norden gibt es viele Makaken, vor allem Rhesusaffen. Die Verehrung des Affengotts hat ihnen weitgehende Narrenfreiheit beschert: Egal ob sie Süßigkeiten und Essen klauen oder Blechdächer zum Schlagzeug umfunktionieren, es wird toleriert. Die Geduld gegenüber den Tieren hat aber auch Grenzen, wie die eines Restaurantbesitzers, der ohne Zögern eine Zwille aus der Schublade holte, als ein besonders dreister Primat vor dem Fenster und den Augen aller Gäste zu masturbieren begann. So geübt, wie der Maître mit der Schleuder umging, sah es allerdings so aus, als passiere das nicht zum ersten Mal. Doch was kann der Mann mehr tun? Als Gottesmörder will dann doch keiner dastehen.
Wie gut Affen eine Stadt im Griff haben können, habe ich in Bundi in Rajasthan erlebt. Es ist eine für indische Verhältnisse außergewöhnlich schöne Stadt, deren alte Häuser von einem mächtigen Fort überblickt werden. Es gibt nicht allzu viele Bausünden, und ein kleiner See, den man von den Flachdächern der Hotels und Restaurants betrachten kann, dient als Blickfang. „Wir haben das Dach extra ausgebaut“, erklärte mir ein Hotelbesitzer traurig, als er mich auf sein Dach führte, „aber die Affen finden immer einen Weg“. Netze, Stacheldraht – alle Versuche, die Affen vom Dach fernzuhalten, seien gescheitert, denn an alles passten sich die Horden von Rhesusaffen an. Die Dachterrasse bleibt deshalb ungenutzt. Oben im Palastgarten treffe ich auf zwei Wärter, bewaffnet mit Lathis, langen Holzprügeln. Nicht, um Vandalen daran zu hindern, die wunderschönen Fresken von Bundi zu beschädigen, sondern um die Affen aus dem Garten zu halten. Die beiden haben die schönste Aussicht auf die Stadt und trotzdem keinen Spaß an ihrem Job. „Wenn sie einen Stock finden, versuchen sie, dasselbe zu machen wie wir“, sagt mir einer von den beiden und lässt den Lathi zur Demonstration durch die Luft schwirren, während der andere etwas nervös Ausschau hält. Ich hoffe, dass die beiden noch gesund sind; es soll fast dreihundert Affen im Fort von Bundi geben.
Auch Ratten wird Respekt entgegengebracht – als Reittier Ganeshas beispielsweise, und in Deshnok in Rajasthan gibt es einen Durga-Tempel, in dem die Pilger die Nager mit Opfergaben füttern. Sollte jemand Ratten nur vom Hörensagen nicht mögen, ist es nicht der schlechteste Ort, Berührungsängste abzubauen – selbst in Massen wirken Ratten nicht so bedrohlich wie zwei Zahnreihen in einem aufgesperrten Affenmaul. Aber mindestens genauso interessant ist die Beobachtung der anderen Tempelbesucher. Die Hindus besuchen den Tempel, um ihrem Glauben nachzukommen – vielen von ihnen ist deutlich anzusehen, dass sie den Tieren nicht weniger Vorurteile entgegenbringen als viele Mitteleuropäer. „Was, Ihre Kusine hält sich eine Ratte als Haustier?“, entfuhr es einmal einer Gastgeberin mit einer Mischung aus Entrüstung, Ekel und Unglauben, der ich unvorsichtigerweise davon erzählt hatte. Dass in Mitteleuropa zweistellige Minusgrade im Winter und Geschwindigkeiten von über 150 Stundenkilometer auf den Autobahnen nichts Außergewöhnliches sind, hatte sie nicht überrascht – aber Ratten sah sie außerhalb eines Tempels vor allem als Ungeziefer an. „Bestimmt würde ich mir so etwas nicht ins Haus holen“, sagte sie zu mir, offenbar fest davon überzeugt, dass ich eine etwas absonderliche Familie habe.
Hätte ich der Dame von einem anderen Tier erzählt, sie wäre weniger angewidert gewesen. Halsbandsittiche, die es seit ein paar Jahrzehnten auch in einigen deutschen Ballungsräumen gibt, haben ihre Heimat in Indien – und werden dort als Glücksbringer angesehen. Das ist sehr praktisch, denn die grün gefiederten Krachmacher mit dem
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