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Masala Highway

Titel: Masala Highway Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriel A Neumann
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beeinträchtigen würde. Dass Muslime und – wenn sie sich Fleisch leisten können – Kastenlose nicht unbedingt etwas gegen ein schönes Rindercurry haben, liegt nah. Dass darüber offen in indischen Medien gesprochen wird, ist neu und zeigt, dass durch die Modernisierung der indischen Gesellschaft die „heilige Kuh“ nicht mehr das ist, was sie früher vielleicht einmal war. Sondern immer mehr zum Klischee wird, das mit der indischen Wirklichkeit nur bedingt etwas zu tun hat.
    „Wie, du warst in Indien? Da hast du doch sicher Elefanten gesehen!“ Sätze wie diesen höre ich immer wieder, wenn ich von einer Reise nach Deutschland zurückkehre. Nach der „heiligen Kuh“ marschieren die Elefanten an zweiter Stelle bei der Parade der tierischen Assoziationen, die Indien hervorruft. Zwar leben wilde Elefanten heute fast nur noch in den Grenzen einiger Nationalparks. Doch sind die Tiere trotzdem eng mit dem Land verbunden: Im Gegensatz zu dem dritten Tier dieser Parade, der Schlange im Korb, die ein Fakir mit den Bewegungen seiner Flöte zum Tanzen bringt, sind Elefanten im Alltag Indiens tatsächlich anzutreffen – und nicht nur als Touristenattraktion. In Form kleiner Statuen von Ganesha, dem elefantenköpfigen Sohn Shivas und seiner Göttergattin Parvati, sogar auf Schritt und Tritt: Ganesha ist einer der Popstars im indischen Pantheon, und so ist sein Bild besonders häufig zu sehen. Das göttliche Dickerchen soll Glück bringen, vor allem wenn sein Rüssel nach oben gerichtet dargestellt wird. Bei einer Puja wird zu Anfang der Elefantengott gepriesen, viele Tempel haben eine Figur von Ganesha am Eingang, damit sich das erste Gebet an ihn richte. Deshalb haben manche Tempel auch ihren eigenen echten Elefanten. Der übernimmt wichtige Aufgaben: Aus den Händen der Tempelbesucher nimmt er mit dem Rüssel Münzen und Scheine entgegen – und segnet den Spender auf ein Zeichen seines Wärters hin mit einem sanften Stups auf die Stirn. Bananenspenden landen nicht in dem Korb mit dem Geld, sondern direkt im Maul des Dickhäuters.
    Die Tempelelefanten wirken dabei so sanft, dass man kaum glauben möchte, dass die Tiere auch eine Gefahr für den Menschen sein können – geschweige denn, dass sie in den Zeiten der Mogul-Kaiser als gefürchtete Waffe eingesetzt wurden. Nur das Klirren der Metallkette, mit der ein Bein gesichert wird, erinnert daran, dass es keine Schmusetiere sind. Dass man sie für welche halten könnte, liegt auch an ihrer Bemalung: Die Mahouts, die Elefantenführer, verzieren die Tiere mit bunten Ornamenten.
    Besonders hübsch gemacht werden die Elefanten für Prozessionen. In Kerala habe ich außergewöhnliche Paraden erlebt. Zu den größten gehört die Arrattu- Prozession während des mehrere Tage andauernden Tempelfestes, das jedes Jahr im März oder April in dem kleinen Städtchen Varkala stattfindet. Varkala beherbergt in dieser Zeit zwei Typen von Gästen: Westler, die den Sandstrand unter den palmenbewachsenen Klippen genießen, und tausende Vishnu-Pilger. Bei einem Besuch im Jahr 2003 erlebe ich, wie sich die beiden Gruppen an den Rändern der größten Straße der kleinen Stadt versammeln, um den Festzug zu bewundern. Damals sind es 79 Dickhäuter, ein jeder mit seinem weißgekleideten Mahout auf dem Rücken und einem goldenen Kopfschmuck verziert. Die Elefantenführer, die im Schneidersitz auf dem Rücken der Tiere sitzen, halten blumengeschmückte, goldene Tafeln auf den Elefantenköpfen aufrecht und müssen dafür ihre Arme weit nach oben strecken. „Die Tafeln heißen Nettipattam “, sagt mir der Schneider, vor dessen Geschäft ich die Prozession beobachte, und winkt in Richtung eines glänzenden Kopfschmucks, der voller golden strahlender Kugeln und Halbmonde ist. „Der Schmuck steht für alle Götter“, erklärt er mir mit einer Mischung aus Stolz und Freude, „und die Tafeln zeigen Vishnu.“ Später, als die mächtigen Tiere vorbeigeschritten sind, erzählt er noch, dass früher noch mehr Elefanten an der Prozession teilgenommen hätten. Doch Elefanten zu versorgen sei teuer, und viele Mahouts würden keine langen Reisen auf sich nehmen wollen.
    Letzteres ist verständlich: Irgendwie muss ein Elefant ja von Tempel zu Tempel kommen. Wie schon vor Jahrhunderten reiten die Mahouts ihre Tiere zum Ziel – ein Transport wäre für sie viel zu teuer. Eine Reihe bemalter Elefanten auf einem Highway ist ein schönes Bild. Auf den modernen indischen Straßen wird aber inzwischen

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