Masala Highway
roten Schnabel und dem roten Band um den Hals sind fast überall zu sehen und zu hören: Das Glück geht also nicht aus, wenn man es von ihnen abhängig macht. Die Papageien, die in großen Schwärmen leben und gerne in Ruinen historischer Bauwerke nisten, werden auch gefangen und verkauft. Das ist keine schöne Sache, denn es sind keine zahmen Tiere, und man muss kein Ornithologe sein, um zu erkennen, dass es nicht artgerecht ist, so einen Vogel allein in einen engen Käfig zu sperren. Glücklicherweise haben Halsbandsittiche zwar ein schönes Gefieder, schreien aber nervtötend – viele werden wohl wieder in die Freiheit entlassen, bevor sie an Depression oder falscher Ernährung sterben.
Abgesehen von Glücksbringern wie den Halsbandsittichen ist es unüblich, ein Haustier zu halten. Vielleicht liegt das daran, dass es so normal ist, ein Nutztier zu haben – natürlich Kühe, vor allem aber kleinere Tiere, von der Ziege bis zum Huhn, werden nicht nur auf dem Land, sondern auch in der Stadt gehalten, um zu Hause die Speisekarte aufzupeppen. Kastenlose haben auch Schweine, die oft frei in den Wohnvierteln herumstreunen. So ist es unnötig, ein Haustier nur zum Spaß zu haben: Die Kinder spielen nicht mit einem Hamster, sondern mit dem Lämmchen, dass irgendwann als Curry auf den Tisch kommt. Allerdings ändert sich die Zurückhaltung gegenüber Haustieren langsam: Einige reiche Bombaykars, die Einwohner der Finanzmetropole, halten es neuerdings für zeitgemäß, ein Schoßhündchen zu haben. Ein Statussymbol, gerade weil es alles andere als indisch ist, denn eigentlich gelten Hunde als unrein. Für ihre kleinen Lieblinge gibt es sogar schon einen eigenen Dabbawalla-Dienst 2 , der die Lieferung von speziell gekochtem Hundefutter bis an die Haustür anbietet. Ein Beispiel dafür, wie groß die gesellschaftliche Spannung in diesem Land ist, in dem sich viele Menschen kaum genug Essen leisten können, aber auch, wie sich Indien verändert. Hunde zählen sonst in Indien zu den bedauernswerten Geschöpfen. Hunderttausende streunen durch die Straßen, und niemand zögert, sie mit Steinwürfen zu vertreiben. Wenn sie im Haus gehalten werden, dann oft als Kettenhunde, die wirken, als wollten sie jeden zerfleischen, der ihnen zu nahe kommt.
Wohl noch schwerer haben es Katzen – nicht zuletzt, weil die Hauskatzen den Affen unterlegen sind, die sich häufig einen Sport daraus machen, die kleineren Raubtiere zu ärgern. Ein Problem mit einem anderen Primat hat eine größere Katzenart: der indische Königstiger, das Nationaltier des indischen Staates. Die Säule des buddhistischen Herrschers Ashoka, die zu den Nationalsymbolen Indiens gehört und auf jedem Geldschein abgedruckt ist, wird von Tigern gekrönt, und die Göttin Durga, die verantwortlich ist für Zerstörung und Neubeginn, nutzt ihn als Reittier. Durch rücksichtslose Jagd durch den Menschen, Bevölkerungswachstum, Verkleinerung seiner Lebensräume und Wilderei ist der Königstiger, wie viele Arten Indiens, fast ausgestorben. Zwar hat die indische Regierung schon 1973 das Project Tiger ins Leben gerufen, ein großes Rettungsprogramm für die Raubkatze. Doch 2008 stellte sich bei einer Zählung heraus, dass anstelle von 4 000 Tieren nur noch höchstens 1 500 Tiger in Indiens Nationalparks leben. Das klingt nach einer ganzen Menge. Doch noch vor hundert Jahren sollen es 40 000 Tiger gewesen sein, und es ist nicht sicher, ob die Zahl der auf mehrere Reservate verteilten Tiere ausreicht, um den Bestand der Art zu erhalten.
Immerhin hat das Project Tiger, will man der indischen Regierung glauben, inzwischen die Bevölkerung über die Bedeutung der Rettung des Tigers aufgeklärt. Hatten die Dorfbewohner früher vor allem Angst vor dem „Menschenfresser“, wissen sie heute, dass Gefahr vor allem von verletzten Tigern ausgeht.
Immer wieder fasziniert es mich, dass auch außerhalb der Nationalparks die Tierwelt vielfältig und exotisch erscheint. An einem heißen Sonnennachmittag den Schatten eines Affen hinter den zugezogenen Vorhängen eines vergitterten Fensters vorbeigleiten zu sehen, würdig schreitende Kamele auf der Straße zu überholen oder das Zimmer mit freundlichen Geckos zu teilen, die der Schwerkraft trotzend an den Wänden kleben: Auch das macht das einzigartige Masala Indiens aus.
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1 Dhoti: traditionelles Kleidungsstück für Männer, das in den Städten immer seltener, aber noch häufig auf dem Land zu sehen ist. Seines Aussehens
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