Masala Highway
wegen wäre „Beinkleid“ eigentlich eine gute Übersetzung: Ein langes Stück Stoff wird um Beine und Hüften gewickelt und zusammengeknotet.
2 Zu Bombays Dabbawallas siehe Kapitel „Essen wie die Götter in Indien“.
Sonnensöhne in Pantoffeln
Auch Abkömmlinge der Sonne haben frierende Füße. Und Marmor kann sehr kalt sein. Im Umaid Bhavan, dem riesigen Palast des Maharaja von Jodphur, sind sehr viele Böden aus spiegelglänzendem Stein. Vielleicht ist das der Grund, warum der schnurrbärtige, etwas rundliche Herr um die sechzig mich in seinem Empfangszimmer in Puschen begrüßt. An den Füßen hängen zwei braune, etwas ausgelatschte Lederpantoletten. Nur von den Knöcheln aufwärts ist Gaj Singh II. ganz royaler Patriarch: Seine Kleidung ist eine Mischung aus teurem westlichen Schnitt und indischer, kragenloser Hausjacke, alles aus edlen Stoffen gefertigt. Aus den Tiefen eines mächtigen Sofas beantwortet er ein wenig gelangweilt meine Fragen, lässt sich bei Details auch gerne von seinem Sekretär, der sich wenige Schritte weiter bereithält, aushelfen. Vielleicht ist seine Hoheit nur etwas müde. Doch sein Auftreten wirkte auch wie das Gehabe gegenüber nichtadligen Besuchern, mit dem Monarchen schon vor Generationen ihren Status unterstrichen – stammt er doch aus einem Rajputen-Geschlecht, das von sich behauptet, von der Sonne abzustammen. Dabei ist Gaj Singh seit Jahrzehnten ein Fürst ohne politische Macht, und der Anlass der Audienz ist ein recht prosaischer – Teil einer Recherche für einen Reiseführer. Der Maharaja steht der Indian Heritage Hotel Association, dem Verband indischer Heritage-Hotels, als Präsident vor. Einige der Hotels besitzt er selbst, darunter eines der größten und luxuriösesten des Landes, gelegen im Palast Umaid Bhavan, das er gemeinsam mit einer großen Hotelgruppe führt.
Der Maharaja von Jodhpur ist einer von vielen Söhnen alter Dynastien, die das Erbe ihres Namens auch im demokratischen Indien erhalten. Um das zu finanzieren – die Kosten für Residenzen und Ländereien sind hoch – sind viele zu Hoteliers geworden. Im Bundesstaat Rajasthan, dem „Land der Könige“, trifft man auf besonders viele solcher Fürsten-Nachkommen, die laut Gesetz normale Bürger ihres Landes, im Ansehen vieler Inder aber die Erben einer großen Vergangenheit sind. Die meisten haben monarchische Allüren längst hinter sich gelassen, und so wird vielen Reisenden, die beim Einchecken in einem Palasthotel freundlich von einem netten älteren Herrn oder einer Dame empfangen werden, gar nicht bewusst, dass sie da nicht nur einen Hotelbesitzer vor sich haben. Zu den Vorreitern gehören die früheren Herrscher von Udaipur, die schon in den Sechzigerjahren einen ihrer Paläste zur Luxusherberge umfunktionierten. Roger Moore jagte in dem zur Kulisse umgestalteten Lake-Palace-Hotel als James Bond seine Gegenspielerin Octopussy, auch das gegenüberliegende Shiv-Nivas- Hotel am Nordende des Palastes von Udaipur ist Schauplatz des Actionthrillers. Sehr viel musste die Filmcrew an den Orten nicht verändern, um den Eindruck orientalischer Dekadenz zu wecken.
Arvind Singh ist derzeit das Oberhaupt der alten Herrscherfamilie von Udaipur und des umgebenden Fürstentums Mewar. Der Clan, die Sisodias, besitzt zwar im modernen Indien durch seine Abkunft keine politische Macht mehr. Doch Arvind Singh ist ein millionenschwerer und gewiefter Manager. Als solcher steht er einer einflussreichen Stiftung vor und ist Herr über mehrere luxuriöse Hotels, die alle in ehemaligen Familiensitzen wie dem Shiv-Nivas-Palast gelegen sind.
Während meiner Recherche begleitet mich zwar nicht der Maharana – so lautet der traditionelle Titel des Rajas von Mewar – persönlich. Stattdessen vertritt ihn Singhji, der sich um die Belange des Hotels kümmert. „Meine Familie ist mit den Sisodias verwandt“, erklärt mir der Thakur Singhji, der sich zwei Tage lang Zeit für mich nimmt. Tatsächlich kommen die Gesichtszüge des Herren mit den gezwirbelten Schnurrbartspitzen denen des stilisierten Kopfes im Strahlenkranz, der überall auf dem Palastgelände zu sehen ist, auffällig nah. „Thakur“ ist der alte Titel adeliger Grundbesitzer, im Adelssystem ist seine Rolle etwa mit der eines Landgrafen vergleichbar. „Schon seit Generationen dient meine Familie den Maharanas von Udaipur“, erklärt mir Singhji die Verbindung zu der Königsfamilie. „Die Sisodias gehören zu den Rajputen- Clans Rajasthans, und meine
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