Maschinenkinder
Krematoriums und melde mich pflichtgemäß: Die Überreste wurden aus der Baugrube entfernt und unverzüglich zerstört. Für mein Dienstprotokoll erhalte ich eine Abbildung, die an mehreren Stellen nachgeschwärzt ist, obgleich ich ein neues Paar freigelegter Skelette neben dem Fahrzeug entdecke: Gerippe zweier Menschen, eins davon ausgewachsen, eins von der Größe eines Kindes, die Knochenfinger an den Brustkorb des andern festgekrallt; gestorben bei der großen Katastrophe – lang vor unserer Zeit.
[Akte: geschlossen]
***
Das vertraute Stechen der Kanülen, bis eine helle, sonnige Wärme durch alle Körperteile flutet: Die tägliche Prozedur dauert nur wenige Sekunden, und wie immer warte ich gierig auf die letzte Infusion ... gleich, ja; die Endorphine, die der Lösung beigemischt sind, versetzen mich in rasende Freude, mein ganzer Körper zittert vor Glück.
Oh, ich danke euch.
Gelobt sei die Transformation!
Schade, dass es nicht andauert; mitten im Rausch spüre ich ein vages Gefühl von Verlust, als die letzte Nadel aus meiner Vene gleitet – sich dann die Apparatur von selbst abschaltet.
Darauf heben mich die Greifzangen hoch und tragen mich zurück zur Pritsche. Ich stelle die Spinne auf Empfang, schaue zu, wie die Rädchen der Aufhängung über die Transportschiene flitzen; blinkende Kugellager, frisch geölt. Seltsam. Für gewöhnlich schlenkert es nicht so stark hin und her. Und während ich noch überlege, eine Erklärung suche, wird mein Kubus von wuchtigen Stößen erschüttert:
Elektrosturm, Klasse 7! Die freigesetzten Blitze springen zur Decke über und rütteln an der Aufhängung, ehe die Schienenbolzen plötzlich nachgeben und die Struktur ruckartig absackt. Ich gleite weg, als die Zangen mich nicht länger halten können, drehe mich im freien Fall, bevor ich, mit den Schultern voran, auf dem Boden aufpralle. Trotz der Endorphine durchzucken mich Schmerzen, hoffentlich eine Prellung, kein Knochenbruch oder ...
Die Sensorspinne wird schwarz.
***
Reglos – am Boden. Ich friere, und mein Körper ist steif. Schwerfällig hebe ich den Kopf an, versuche, zur Spinne Kontakt herzustellen, aber die Signale laufen ins Leere, alles bleibt dunkel; bestimmt ein Defekt. Indes wurde meine interne Uhr mit der Werkszeit synchronisiert und mir fällt auf, dass ich drei Stunden über bewusstlos war. Sanitäter hätten längst bei mir sein müssen. Was ist geschehen? Wurde der Palast beschädigt?
Ich entscheide mich, die Notfrequenz zu wählen, um meinen Status durchzugeben, erhalte jedoch nur eine knappe Fehlermeldung: [Krematorium nicht erreichbar.] [Bitte warten ...]
Das ist nie zuvor passiert.
Keine Luft! Als läge ich unter den Schienen begraben; und mein Hals ist wie zugeschnürt. Ich atme in kurzen, flachen Stößen, während meine Gedanken rauschen wie Statik:
Was, wenn keiner kommt?
Unter Schmerzen taste ich mit den Stümpfen die Umgebung ab – nichts, außer den Kacheln, glatt und eiskalt. Die Muskeln zittern, und ich schwitze kalten Schweiß. Keine Endorphine. Und Durst.
Helft mir. Bitte.
Hilfe!
Doch alle Leitungen bleiben weiter besetzt.
***
Stunden vergehen, bis ein Griff aus Stahl mich umschließt und in die Höhe trägt. Ich gleite nach vorn – werde auf den Polstern einer Liege oder einem Gelbett abgelegt.
Dann, nach einer kühlen Berührung, rutscht die Nylonhülle von meinen Schultern, und ich spüre einen Luftzug auf nackter Haut und das Kribbeln von Nadeln; ein Beruhigungsmittel plus eine örtliche Betäubung, die sofort wirkt. Mir wird eine Wunde vernäht.
Und endlich, als der Sanitäter an einer neuen Stelle meines Torsos ansetzt, die Schultern oder den Nacken pflegt, erreicht mich eine Nachricht über eine Kurzfrequenz; das Krematorium hat seinen Betrieb wieder aufgenommen und sendet ungerichtetes Funkfeuer, das jedoch mehrfach abbricht:
[Überspannung der Netze] [Elektrosturm, Klasse 7] [Bezirke NA-35 bis RO-744] [Notreparaturen.] [Erste Hilfe geleistet.] [Errichtet die Stadt!] [Gelobt sei die Transformation.]
Alles unter Kontrolle.
Die Anspannung fällt von mir ab, und meine Muskeln entkrampfen sich. Ich sinke in die weichen Polster, halb wach, halb dösend, während der Sanitäter seine Operation beendet und den Nylonstoff mit schnellen Stichen vernäht. Auf Höhe des Bodens – von der Stelle aus, wo die Spinne hingestürzt ist, kann ich seine letzten Prozeduren verfolgen: das Zerschneiden des Fadens; wie er die Instrumente einfährt, die Greifarme wegknickt
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