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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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ob sie den Vorsprung ihres Kontrahenten in der zweiten und dritten Runde aufholen kann. Es bleibt also spannend! KTLL – die neue Dimension des Family-Entertainments!
    Quizmaster Schäfer lächelte in die Kameras. »Willkommen zurück bei Marionetten! Der Gewinner des ersten Spiels heißt: Hoogin. Meinen Glückwunsch, Kumpel!«
    »Da klingeln bei mir die Kassen!«, scherzte der abgehalfterte Schauspieler. »Alles klar bei dir, Maria?«
    »Danke der Nachfrage. Mir geht’s schon besser.« Die versehrte Frau strahlte über beide Ohren. Unter dem Kittel trug sie einen neuen Verband; kleine Blutflecken drangen durch den Mull. »Habe halt Pech gehabt.«
    Schäfer griff den Kommentar auf: »Ja, wirklich Pech gehabt. Doch es kann sich alles zum Guten wenden! In der zweiten Runde spielen wir …« Noch wechselten auf der Anzeigentafel die Symbole, bis die Animation bei einem Fragezeichen stoppte. »Universum des Wissens! Maria, kennen Sie auch den Ablauf?«
    »Nein, Cyrill, keine Ahnung … Wie geht das?« Mit Daumen und Mittelfinger zog Maria eine Bandage über die Schulter.
    »Es ist ganz simpel«, erklärte Schäfer. »Nach der Reihe stelle ich Ihnen Fragen. Für eine richtige Antwort bekommen Sie einen Festbetrag von fünftausend Neumark aufs Konto gutgeschrieben. Eine falsche Antwort wird registriert, drei falsche Antworten kosten Sie erneut ein Körper –«
    Schrilles Gekreisch war durch einen Brokatvorhang zu hören, der die Backstage halb verdeckte – Schäfer drehte sich um und sah gerade noch, wie eine Horde Demonstranten das Filmstudio stürmte. Sie hielten Protestschilder und Spruchbänder hoch und spülten im Kampf die völlig überforderte Security mit auf die Bühne. »Stoppt diese Show! Stoppt diese Show!«, brüllten sie aus vollem Hals.
    »Scheiße, was geht denn hier ab?«, japste Schäfer, ehe er der wütenden Meute entgegentrat, die Hände erhoben. »Meine Damen, meine Herren, bitte, ich bitte Sie – beruhigen Sie sich!« Seine weiteren Worte gingen im Protestgeschrei unter. Ein Mann in einer alten Baseballjacke drosch ihm die Faust auf die Lippen, sodass die frischeren Narben aufplatzten, Schäfer taumelte rückwärts und brach auf der Bühne zusammen. Die Hautlotion fiel aus seiner Tasche und kullerte einer Demonstrantin vor die Füße; sie bückte sich, nahm die Flasche auf, und kurz zeigte die Kamera eine Großaufnahme des Etiketts –
    Elysian , sanfte Pflege für die Haut. Vertrauen Sie der patentierten Wirkformel aus Ziegenmilch und ätherischen Ölen. Auch für Verbrennungen zweiten Grades, Akne und geschwollene Narben geeignet. Creme dich schön!
    – bis Kosloff in der Sendezentrale den Stecker zog und die Übertragung abrupt abbrach.

KREMATORIUM
    Ich bin ein Torso, kein Schädel in den Denkfabriken. Ich habe eine Brust und einen Kopf, obwohl ich mein Gesicht nicht kenne: Ein Nylonstoff hüllt meinen Körper ein, eng anliegend, warm, und es prickelt, sobald die kleine Sensorspinne, mit Widerhaken an den Beinen, weiterkrabbelt bis zum Nacken und zur Stirn; dass ich etwas sehen kann.
    Keine Augen.
    Und kein Mund. Wir haben die schwachen Teile entfernt, alles, was wir nicht brauchen, um unsere Stadt zu errichten: Hexagone – eine Wand an die nächste gegossen, Boden und Decke; übereinander gestapelt; abgerissen, sobald sie funktionslos geworden sind.
    Als Torso bediene ich die Maschinen.
    Heute trägt mich die Transportgondel aufwärts zu einem Schaufellader; ich sehe ihn schon aus der Ferne, seine Ausleger, von grauer Morgensonne bestrahlt, während unter mir die Gebäude vorüberziehen, Stahlwerke und Glukosedestillen. Im Anschnitt kann ich das Krematorium erkennen, ein Dom des Wissens und der Transformation, dort, wo alles Leben entspringt und vergeht, damit aus Fleisch wieder Strom werden kann. Pure Gedanken, die ins elektrische Netz zurückgespeist werden, das alle Hexagone miteinander verbindet:
    Unsere Toten leben in den Kabeln und Strommasten weiter, geben uns Kraft für das gemeinsame Tagwerk. Sie flüstern und singen; sie sprechen zu uns mit ihren Geisterstimmen, die jeder versteht, der ein Mikrofon hat. Ich bin taub und höre sie nicht; für meine Funktion ist ein Ohr ohne Wert.
    Noch sechs Minuten bis zur Schicht.
    Mit leichtem Ruck schwenkt die Gondel an der Oberschiene ein und gleitet weiter nach links, bevor ein Bremspuffer der Fahrt ein Ende setzt. Die Türen schwingen auf; die Sitzschale wird vom Fenster weggedreht, dann heben Greifzangen meinen Torso empor und ziehen mich

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