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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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und im Hohlzylinder verstaut, worauf er sich zur Transportschiene hochseilt und in Warteposition einrastet. Eine Diode blinkt hell, eine dunkel. Offenbar ist mein Zustand so schlecht, dass ich mehrtägiger Pflege bedarf ...
    Sekunden später erhalte ich die offizielle Diagnose und eine Beurlaubungsnotiz.
    Im Halbschlaf, von der Medizin benebelt, fällt mir erst spät auf, dass die Verbindung zur Spinne hergestellt, die Bildübertragung lange stabil ist: der Boden als Schachbrett, darüber die Lampen und das Zickzack der Transportschienen, die zum Teil schon repariert sind. Als ich den Befehl zum Herkommen gebe, krabbelt mein Helfer mit flinken Beinchen auf mich zu; ein kleiner Satz, ehe er auf meinem Rücken landet.
    ***
    Der Abend verdunstet wie Kondenswasser. Die Gedanken sind träge und dumpf, werden erst schärfer, als die Drogen an Wirkung verlieren und mein Körper vom Entzug wieder zittert und schwitzt – der Nylonstoff klitschnass wird. So viele Fragen, die mich quälen, über Dinge, die mir rätselhaft erscheinen: der Knochenfund heute, das nachgeschwärzte Foto; der Elektrosturm. Hängen diese Dinge zusammen? Gibt es eine kausale Kette, Effekte, Ursachen?
    Meine Abhängigkeit von der Maschinenstadt ...
    Weshalb wurde ich ohne Arme und Beine gemacht? Wieso habe ich keine Augen, keine Ohren, keinen Mund? [Die schwachen Teile sind zu entfernen], wurde mir eingeprägt. Doch wozu? Ich kann mich nicht von selbst bewegen, und sobald die Spinne ausfällt, bin ich hilflos und blind. Nur die Baumaschinen machen mich stark.
    Wo ist der Sinn des Ganzen? Und welches Gesamtwerk bildet meine Arbeit, die Arbeit aller? Wonach streben wir?
    Wer kann mir Antworten geben?
    Um mich abzulenken, setze ich mich aufrecht und schalte den Fraktalprojektor an ... schaue den Zufallsmustern zu, die über die Leinwände flackern, Spiralen auf Spiralen, aber ich finde keine Ruhe.
    Wer bin ich?
    ***
    Mitten in der Nacht, ich bin rastlos, und an Schlaf ist nicht zu denken, tue ich etwas Illegales: Durch einen schwarzen Codeschlüssel übernehme ich die Steuerung des Sanitäters und lasse ihn von der Decke abseilen. Ich muss wissen, was unter diesem Stoff ist – mein Gesicht sehen, meine Gliedmaßen, meine Haut.
    Die Klappen des Zylinders gleiten zurück und rasten ein, worauf die medizinischen Instrumente ausgefahren werden, Skalpelle, Spritzen, Greifwerkzeuge, Verbandsspender. Drei optische Linsen am Kopf liefern ein gestochen scharfes Bild von mir – Präzisionsschliff, ganz anders als der grobkörnige Sensor der Spinne. Trotzdem ist die Steuerung leicht und intuitiv; wenige Befehle reichen, um die Rundsäge vorzustrecken und auf Brusthöhe zu arretieren. Mein Atem stockt mir im Hals, als sie schneller um die eigene Achse kreist und ihr Zahnkranz verschwimmt, bis sie langsam, ganz langsam, näher rückt, Millimeter für Millimeter. Vorsicht. Nicht zu tief ansetzen, nur den Stoff zerteilen.
    Mir gelingt ein erster, sauberer Schnitt, und mutiger ziehe ich das chirurgische Gerät quer über mein Brustbein und schräg bis zum Kinn, dann sichelförmig bis zur Stirn. Zu schnell. An der Schläfe tränkt Blut den Stoff, doch ich spüre keinen Schmerz. Mein Herz klopft wie unter Schwerstarbeit, der ganze Torso zittert, und ich muss die Operation kurz unterbrechen. Mit zwei Spreizklemmen ziehe ich die Stoffhülle auseinander und sehe zum ersten Mal meine Rippen, kalkweiß und glänzend vor Schweiß.
    Fiebrig reguliere ich den optischen Zoom und stelle ihn auf meinen Kopf scharf; gleichzeitig streifen die Zangen das Textil von den Schultern und mein Gesicht kommt zum Vorschein – Reste von Lippen und Augenlider, mit schwarzem Faden zugenäht, der längst mit der Haut verwachsen ist. Um mein Profil zu betrachten, wende ich den Kopf nach links, ungläubig, doch seltsam fasziniert: Mir wurde das Ohr abgenommen, da sind Narben am Rand des Gehörgangs, der komplett verschlossen ist.
    Der Nylonstoff fällt ganz von mir ab, ein faltiges, graues Bündel, so als hätte ich mich gehäutet. Nackt mustere ich mein Ebenbild im Fokus der Linsen: die Armstümpfe, durchbohrt von Buchsen und voller Narben, und mein Gesicht, das eingefallen ist und schlaff – wie das einer Leiche. Ich muss mich erst an den Anblick gewöhnen, akzeptieren, dass ich das bin oder das, was von mir übrig ist. Wann wurden die chirurgischen Eingriffe durchgeführt, bei meiner Geburt? Oder später?
    Man hat ein Werkzeug aus mir gemacht.
    Mittlerweile ist früher Morgen, und draußen,

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