Maschinenkinder
beginne ich zu ahnen …
Planet *//1-01 : Nuklearer Winter. Keine höheren Lebensformen.
Mission gescheitert.
CÔTE NOIRE
Côte d’Azur, nach dem Blitz. Wie jede Nacht war der Wal gekommen, um seinen entstellten Körper gegen das Schiffswrack zu werfen – unter tiefem Stöhnen, Walgesang, den er pausenlos rausbrüllte, während er seine Barten gegen den Stahl schlug, die ihm blutig und zerfetzt vom Maul runterhingen. An scharfen, rostigen Kanten schürfte er seine Haut und die Speckschicht auf, donnerte mit den Flossen dagegen, prallte ab, prallte dagegen, immer und immer wieder, grollend, wie irre die Gischt aufpeitschend; metallische Echos hallten weit ... bis zum Strand.
Erst als es dämmerte, ließ der Wal vom Frachterskelett ab und schwamm hinaus aufs offene Meer. Bug und Reling standen jetzt reglos über den Wellen, der Rest des Wracks lag unter dem Meeresspiegel, auf Grund. Noch düster, tiefschwarz klebte sein Schattenriss am Horizont, ehe die Sonne hervorbrach und alles in beißendes Morgenlicht tauchte. Nicht lange und die Küste würde brennen – eine graue, zerfressene Felsensichel, zwei Ausläufer der Alpen, die ins Mittelmeer abfielen.
Radioaktiver Schaum zischte über den Stein.
Von der Klippenstraße aus konnte Gabriel das Schauspiel verfolgen, eine Hand am Kraftrad, einer alten Wakan, die ihn den ganzen Weg von München über Zürich, Lugano und Turin hierher gebracht hatte; ein wochenlanger Höllentrip kreuz und quer durchs Ödland, zurück zum Ursprung seiner Reise, Nizza und Toulon. Überall die gleichen Albtraumbilder, Verwüstung und Chaos: Die Städte lagen in Schutt und Asche, völlig zerstört, ausradiert – weggerissen wie Spielklötze, als die atomare Wucht über Europa hinwegraste.
Gabriel zurrte den Reißverschluss seiner Lederjacke hoch und wischte sich Staub vom Schädel. Sein Haar war ausgefallen – sein Hinterkopf kahl, sodass die Doppelbuchse vorstand: ein Implantat aus Keramik, ähnlich einer Stromdose. In einem der Löcher steckte ein Datenstift.
Die Sonne stieg höher. Noch war es still, und kein Vogel sang; nur der Geigerzähler knackte am Handgelenk.
Unten rauschte das Meer.
Mit der Helligkeit kam die Hitze, und Staubwind fegte über den spröden Asphalt, blies Steinchen gegen das Kraftrad. Gabriel nahm seinen Helm, setzte ihn auf, bevor er sich in den Schalensitz schwang und den Motor startete.
Im Innendisplay des Visiers blinkten drei Skalen – Ölstand, Sprit und Luftdruck, darunter das Navigationsmenü: defekt, wie die meiste Hightech; ein Strahlungsimpuls hatte ausgereicht, um Transistoren und Chips durchschmoren zu lassen. Abgesehen vom Zoom war es Gabriel nur gelungen, die Grundfunktionen wiederherzustellen.
Er gab Gas. Die Wakan lief an und wurde schneller, wobei ihr Rahmen pneumatisch an Geschwindigkeit und Straßenlage angepasst wurde; Gabriel lag jetzt bäuchlings auf dem gepolsterten Tank, das Gesicht nahe der Pneus, die auf der schlechten Piste leicht schlugen. Seitlich glitten Meer und Felswände vorbei, durchbrochen von einem Nadelwald, dessen Bäume verkohlt auf der Anhöhe standen.
Zwei Serpentinen hinauf, dann runter ins Tal; steil und in engen Schleifen führte die Corniche bergab, ständig musste Gabriel das Gas zurücknehmen, um nicht auszubrechen oder gegen die Wände zu krachen – plötzlich Felsbrocken vor einem Tunnel; Gabriel riss den Lenker herum, legte sich voll in die Kurve, kam auf dem Rollsplit ins Schlingern, ehe die Elektronik des Kraftrads zwar reichlich spät eingriff, den Sturz aber noch abwenden konnte.
»Merde«, hustete Gabriel, während er durch den Tunnel schoss, Schatten, jetzt sengendes Licht.
Sein Hals war trocken und schmerzte, seit Tagen hatte er kein Wort gesprochen – alle Gedanken betäubt von der Strahlungshitze, dieses schwarze Gefühl, wie ein Tumor in den Köpfen der Menschen, der so viele von ihnen bedrückte. Auch Gabriel hatte meist nicht die Kraft, dagegen anzukämpfen. Migräne setzte ihm zu.
Hinter dem Tunnel kletterte die Corniche stetig bergauf, und das Meer kam wieder in Sicht: Aus dieser Höhe glänzte das Wasser metallisch; ein grauer Belag auf den Wellen, wie kochendes Blei.
Und am Horizont eine Küstenstadt: Menton.
***
Ranziger Fisch. Der Gestank nahm zu, fast unerträglich, während Gabriel der zweispurigen Schnellstraße folgte, die ihn zur Bucht von Garavan führte. Der Hafen rückte näher – Gabriel drehte den Helm, um die Szenerie heranzuzoomen: Jachten, Molen und der Quai
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