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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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Glas und Acryl, in der einst die Spiele begannen; das Herz meiner Welt, jetzt vom Schatten größerer Spielepaläste verschluckt, wo es stillsteht, versunken in alten Tagen. Nur noch wenige Gamer, die hierher gelockt werden, vielleicht von Nostalgie getrieben und diesem Hauch von Ehrfurcht, den sie auch mir entgegenbringen, wenn sie den Kopf etwas senken, wegschauen, sobald ich ihnen Aufmerksamkeit schenke – dieser zehnten Generation von Spielern, die so anders ist als wir und doch so gleich, so besessen, so stolz auf ihren Highscore, der in azurblauen Ziffern auf ihrer Stirn prangt. Ein Mädchen ohne Augen, fast noch ein Kind; ein Junge mit einem Kristallschädel, in dem Neurovipern schlängeln.
    Halbwach gleite ich an den Monumenten vorbei, wo die Pioniere der neuen Zeit in Epoxidharz gegossen stehen – viele meiner Gegner, die ich überlebt habe, trotz allem. Noch erinnere ich mich an den ersten großen Tag, als ich zum Zweikampf die Arcade betrat, von der flirrenden Statik berauscht: das grelle Licht, das Tosen der Menge, bis ich meine insektoide Hand mit den Spinnengelenken fest an mein Ohr presste, um vom Jubel nicht bewusstlos zu werden. Vorne mein Podest, und das Podest meines Gegners: Auge in Auge, die Zähne verbissen, während wir den Leib mit Injektionen auf Hochtouren bringen: die Netzhaut als Bildschirm, das Gehirn als Prozessor, wir selbst sind lebende Konsolen. Möge der Beste gewinnen!
    Die Spielfinger mit Geckohaut überzogen. Polysynapsen für schnellste Reflexe. Hirnareale für Kugelraumsicht oder multidimensionales Sehen – als die ersten Modifikationen unter dem Tisch verkauft wurden, militärische Restposten aus China, Südkorea, war ich einer der ersten Gamer, der zögernd den Preis bezahlte: Austausch einer ganzen Hirnregion, um sie implantieren zu können, und ging etwas schief, entweder blind, taub, gelähmt oder ohne Langzeitgedächtnis leben. Ich hatte keine Wahl, wenn ich gewinnen, nicht bloß mitspielen wollte.
    Später Probleme mit der Gewebeabstoßung, die ich nur mit Medikamenten bekämpfen konnte, teure Präparate, meist illegal und voller Nebenwirkungen, das Zittern, die Blutungen; doch alles, was für mich zählte, war der neue Highscore, steil aufzusteigen in der Liga, bis zum zweiten Platz; bevor ich meinen Meister fand.
    Eine Menge formiert sich, als die Träger mich die Stufen des Kolosseums hochheben. Applaus brandet auf, erst zögernd, verhalten, dann schallend; und diesmal starren die Gamer mich offen an wie ein seltenes Tier, das zur Schau gestellt wird. Inzwischen stehen die goldenen Pforten offen, und ich werde in die Arena hinein getragen. Abendlicht flutet das gewaltige Kuppeldach, ich fühle Wärme auf meiner spärlichen Haut.
    Ein letzter Kampf. Eine letzte Chance, meinem Meister den ersten Platz abzuringen – denn wir beide liegen im Sterben.
    Während ich meine Injektionen erhalte, kann ich einen flüchtigen Blick auf unser Spiegelbild werfen, auf unsere alten, zerfallenen Körper, die nicht mehr als Zellhaufen sind, von silbernen Nervenfäden durchkreuzt. Er hat noch sein schlaffes Akustikgewebe am Hinterkopf; einen Spinnenfinger, der steif geworden ist und schwarz. Mein Highscore ist auf die Schulter gerutscht, fünfzig Punkte, die ich noch brauche, so wenig und doch …
    Ich werde ihn schlagen. In einem Spiel, das so viel älter ist als wir selbst.
    Es beginnt!
    Mit Gedankenkraft ziehe ich den Balken hoch, um den kleinen Ball zurück zum Gegner zu schleudern:
    Pong.
    Eins zu null.

CYST
    *//352-36
    Ein Sturm aus Kohlendioxidflocken tobt am Bullauge meiner Kapsel vorbei – ich habe den Lichtfilter abgeschaltet, um die ganze Landschaft zu sehen, nicht nur das Schneefeld und das schwarze Geröll nahe der Vorderluke. Sechs Stunden, seit der Tank mich entlassen hat, in meiner neuen Form, die an die atmosphärischen Verhältnisse dieses Planeten angepasst ist: ein gewölbtes Außenskelett mit einem Panzer aus Silikat, der dem hohen Druck standhalten kann. Ein simpler Bewegungsapparat, wie bei einem Krebs, und kein Verdauungstrakt, damit ausreichend Platz für das Nervensystem bleibt.
    Den Großteil meiner Persönlichkeit habe ich im Tank zurückgelassen – die alten Erinnerungen an mein Leben auf der Erde, bevor ich Exobiologe wurde, Gefühle, Gedanken, eingemischt in die halb verblassten Bilder. Nur dort bin ich vollständig und ganz ich selbst, wenn auch nicht länger ein Mensch: nur ein reiner Verstand, eingeprägt in das rote Gelee.
    Wie immer brauche ich

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