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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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und Schweiß brannte in seinen Augen. Nur unscharf sah er das Gerät, das unter den Fenstern stand: ein Solarzellen-Generator, die Stromkabel liefen zur Decke und zum Altar.
    Blinzelnd versuchte Gabriel, neue Details zu erkennen, doch das Licht blendete so stark, dass er nach wenigen Atemzügen wegschauen musste. Von feurigem Schein umhüllt, strauchelte Gabriel von einer Kirchenbank zur nächsten – weiter, nur weiter! –, ehe Migräne und Schwindel ihn schließlich in die Knie zwangen. Schmerz flutete seinen Körper.
    Das Licht! Gabriel schrie auf, als plötzlich sein Implantat aussetzte und einen Kanal für Erinnerungen aus dem Langzeitgedächtnis freigab, die grell in seinem Kopf zerbrachen: Visionen, Flashbacks aus einer früheren Zeit:
    Blut. Eine Petrischale mit einer roten Gewebekultur, darüber ein Mikroskop. Eine Hand korrigiert die Brennweite per Knopfdruck, und die Sicht wird klarer: künstliche Nervenzellen.
    »Und, Bruderherz, neue Ergebnisse? Wie stark ist der Zellverband nach der letzten Bestrahlung gewachsen?«
    »Gar nicht. Die Katalysatoren waren ohne Effekt.«
    »Merde! Das wirft uns um Wochen, wenn nicht um Monate zurück! Philippe, sieh mich an: Wer hat die Micromeds hergestellt?«
    »Ich selbst.«
    »Dann können wir technische Fehler wohl ausschließen – aber was ist es dann, verflucht?«
    »Wenn Vater das mitkriegt, sind wir so was von geliefert. Wir müssen flexibler denken, irgendwo übersehen wir etwas.«
    »Aber was, was! Wo steckt der gottverdammte Fehler?«
    »Keine Ahnung. Ich habe nur deine Vorgaben umgesetzt … Vielleicht sind die Grundlagen falsch.«
    »Also eine zweite Nachtschicht heute, ich bestelle Rationen fürs Team.«
    Größere Brennweite, das Nervengewebe wird aufgebläht, vier Neuronen, drei, zwei, eine blutrote Zelle, von hinten bestrahlt, und –
    Hundekläffen! Gabriel schreckte hoch, sah sich gehetzt um. Irgendwie hatte er das Kirchenportal geöffnet und stand jetzt wieder draußen, auf den Stufen. Die Sonne war noch sengender geworden, und unter seiner Lederjacke bekam er die Hitze zu spüren; sein Körper war klitschnass vor Schweiß, ein klebriger Film auf der Haut, an dem seine Kleidung haftete. Kaum auszuhalten. Raus aus Menton; in dieser verfluchten Stadt lebte niemand mehr.
    Er verschwendete seine Zeit!
    Umlagert von den Kötern, die ihm knurrend folgten, ohne anzugreifen, um dann ganz von ihm abzulassen, trottete Gabriel die Rampen abwärts, die Waffe in der Hand, als er plötzlich eine Stimme hörte: Sie klang alt und gebrochen und sang in heiseren Tönen, die sich bald überschlugen. Eine Frau.
    Es gab also Menschen, die hier lebten! Gabriel stolperte los – nahm die letzten Stufen in einem Satz. Auf dem Quai Bonaparte sah er sich hektisch um: Wo war sie? Links von ihm, etwa dreißig Meter entfernt, glänzte seine Wakan unter der Palme. Rechts lag der Hauptteil der Ankerplätze, eine Mole nach der anderen, und dort entdeckte Gabriel ein aufgetakeltes Fischerboot, das verdreckt und düster zwischen den Jachten angelegt hatte. Ein Wort stand auf dem Segel, mit blutroter Farbe hingeschmiert, doch aus der Entfernung nicht zu entziffern.
    Jetzt sah er auch die Gestalt, die das Boot am Pier vertäute: Sie hievte schwere Flechtkörbe über die Reling und schaffte sie zu einem Ankerpoller. Gabriel lief die Umgehungsstraße entlang, unverwandt die Gestalt im Blick – eine Matrone, wie er schnell erkannte, knorrige Schultern, ein dürrer Hals. Sie ging gebeugt, als würde ein Gewicht auf ihrem Körper lasten, auch wenn sie keine Körbe schleppte.
    »Bonjour«, rief Gabriel, nachdem er die Mole erreicht, das Visier seines Helms geöffnet hatte. »Ein guter Fang?« Die meisten Meeresfrüchte waren durch die Strahlung zwar ungenießbar, aber was sollte man sonst fressen außer Mais?
    Wie zur Antwort schüttete die Matrone den Inhalt eines Korbes aus, und eine Flut von Sardinen ergoss sich auf die Kunststoffplanken: Sie hatten blasse, abstehende Schuppen und Tumore an den Kiemen. Die Alte zog ein Messer aus der Schürze, setzte sich mitten in den Haufen und begann, die Fische auszuweiden. Dabei sang sie ihr Lied – jeder Ton wie rausgeschrien.
    Gabriel folgte der Mole bis zum Meer. Er probierte ein Lächeln, bevor er näherkam. »Schön, einer lebendigen Seele zu begegnen.«
    Doch die Alte sah nicht auf.
    »Nie ruht der Höllenwind vom Toben!«, sang sie, wobei sie ihr Messer in einen der Fische gleiten ließ. Mit geübten Händen schnitt sie vom Kopf zur Flosse,

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