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Maschinenkinder

Maschinenkinder

Titel: Maschinenkinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Shayol Verlag
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dröhnender Glockenschlag, der ihn zusammenfahren ließ. Keuchend schloss er die Augen … riss sie wieder auf, da er lautes Kläffen hörte. Mehr Hunde waren gekommen: Er zählte drei am Kirchenportal und den verkrüppelten Köter, der verstohlen von der Seite näherrückte. Sie schienen einer Fährte nachzugehen, einem Geruch, der sie magisch anzog. Unruhig streunten sie an den Treppen hin und her, stießen schrille, klägliche Laute aus. Sie hatten Hunger, sie witterten etwas.
    Oben dröhnten die Glocken von St. Michel.
    ***
    Erst als Gabriel mit erhobener Waffe vordrang, begriff er, dass die Hunde nicht ihm nachstellten, sondern die Kirche belagerten. Jetzt wehte der penetrante Geruch auch zu ihm herüber, der diese Tiere offenbar angelockt hatte – süßlich, wie verdorbenes Fleisch. Trotzdem ging Gabriel auf das Kirchenportal zu. Die Hunde versperrten ihm den Weg.
    »Ruhig, Freunde. Ganz ruhig«, sagte er beschwichtigend und öffnete seinen Seesack, um etwas Maisbrot herauszuholen. »Seid hungrig, was? Hier!«
    In hohem Bogen schleuderte er den Brocken gegen eine Hauswand – und die Hunde jagten los, stießen japsend zusammen, fielen übereinander her, bissen sich gegenseitig weg, bevor der größte alle anderen zurücktrieb und sich das Brotstück schnappte. Von seinen Lefzen troff Speichel, während er fraß; seine Halssehnen zuckten vor Anstrengung.
    Unterdessen hatte Gabriel das Portal erreicht. Eilig lief er die Stufen empor und stemmte den Torflügel auf; Scharniere quietschten, dann stand er im trockenen Schatten der Kirche.
    Großer Gott! Kadavergestank stieg ihm in die Nase; fast hätte Gabriel sich übergeben, er würgte. Hastig schloss er das Helmvisier, worauf ein Filter ansprang und die Luftqualität verbesserte. Leichen! Überall Leichen – nicht wie in einem Beinhaus achtlos auf dem Boden gestapelt, sie saßen in den Kirchenbänken, manche zur Seite gekippt, die Köpfe schräg oder nach hinten, andere Körper waren nach vorne auf die Gesangsbücher gerutscht. Alle trugen Festtagskleidung, Anzüge, Röcke, Schmuck, auch traditionelle Hüte oder Wollmützen – rausgeputzt für den Herrn. Ihre versteinerte Haltung, ihre verdorrte Haut verriet, dass sie schon Tage, wenn nicht Wochen tot waren, dennoch zeigten sie nur mäßige Anzeichen von Verwesung. Die Strahlungshitze konservierte das Fleisch.
    Drei Reihen entfernt: das Gesicht eines Mädchens, das Gabriel mit gelben Augen anstarrte. Seine Haut war bleich, fast blau; sein Hinterkopf in den Nacken gesackt, sodass Reste seines blonden Haares von der Kirchenbank herabhingen. Die Lippen standen offen, die Zunge klebte im Mundwinkel und war gräulich vertrocknet.
    Gabriel schüttelte sich vor Ekel. Zwar hatte er sich längst an das Grauen gewöhnt, aber Kinderleichen jagten ihm immer noch Schauer über den Rücken. Und dann begriff er:
    Ein apokalyptischer Kult! Seit dem Blitz wucherten diese Sekten wie Krebsgeschwüre, streuten ihre Metastasen in die Welt: Wanderprediger und Bußprozessionen aus sich irre geißelnden Sehern, Propheten, Heilanden, die bis vor Kurzem noch Investmentbroker oder Taxifahrer gewesen waren – jetzt mit zerrissener Krawatte durch die Straßen krochen, um die atomare Erlösung zu preisen.
    Es waren Gerüchte von Massenveranstaltungen im Umlauf, ganze Fußballstadien voller Menschen, die sich gegenseitig zu Tode prügelten. Andere ließen sich kreuzigen. Viele erschossen sich oder tranken Gift.
    Die katholische Kirche schwieg.
    Der Vatikan oder vielmehr das, was von ihm übrig war, hatte sich vollständig abgeschottet, und die Schweizer Garde eröffnete sofort das Feuer, wenn sich ein Mensch oder Tier bis auf hundert Meter dem Hoheitsgebiet des Papstes näherte.
    Jeder war sich selbst der nächste.
    Kollektiver Selbstmord, kein Zweifel. Vielleicht besser, in Würde zu sterben, als im radioaktiven Sand zu krepieren. Gabriel seufzte.
    Neben einem Messkelch, der sicherlich Gift enthielt, stand ein Holoprojektor auf dem Altar und warf eine animierte Filmsequenz in den Raum, die das Ende der Welt, Apokalypse und jüngstes Gericht, mit schnellen Schnitten in Endlosschleife projizierte. Keine Musik, dafür donnerten Glocken im Turm; jeder Schlag erschütterte das Gewölbe, ließ die Buntglasfenster vibrieren.
    Verbissen zog Gabriel den Kopf ein. Diese drückende Hitze; und etwas blendete ihn. Gabriel stolperte, krallte sich an einer Holzlehne fest, sonst wäre er im Mittelgang umgekippt. Ihm war schlecht, sein Mund ausgetrocknet,

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