Maschinenmann: Roman (German Edition)
sich Cassandra Cautery durch die Scherben und stützte sich an den Überresten des Fensterrahmens ab. »Sehen Sie, er bewegt sich nicht.«
Das wollte ich nicht, lag mir auf der Zunge. Aber mein Brustkasten drückte mir die Lunge zusammen wie eine Schraubzwinge.
»Der Mann ist tot.« Ehrfurcht schwang in ihrer Stimme mit. »Mausetot.«
Wider bessere Einsicht blickte ich nach unten. Auf dem Streifen zwischen Better Future und der Straße erstreckte sich ein breiter, prächtiger Rasen. Doch er wurde durchschnitten von einem schmalen Betonweg, auf dem nun der Manager lag. Auch wenn ich versucht war, diesbezüglich unglückliche Umstände geltend zu machen, muss te ich aufgrund der verkrümmten Position der Beine über dem Kopf doch zugeben, dass das völlig unerheblich war.
Die Contours machten einen unerwarteten Schritt nach vorn, als wollten sie ihr Werk aus der Nähe in Augenschein nehmen. Ich wankte.
»Charlie …« Cassandra Cauterys Blick klebte an dem winzigen, zerschlagenen Körper des Managers. »Jetzt stecken Sie aber gewaltig in der Patsche.«
Die Contours spannten sich an. Vier Abschnitte zogen sich fünf Zentimeter zusammen. Ich hatte sie nicht dazu aufgefordert. Es musste sich um eine Panikreaktion handeln. Anscheinend stieß mein verstörtes Gehirn nur noch weißes Rauschen aus. Allerdings fühlte es sich nicht so an. Es fühlte sich an, als würden die Contours eigene Entscheidungen treffen.
Hinter mir ächzte jemand auf. Die hinreißende Sekretärin des Managers stand mit einer Hand auf dem Türgriff da. Die andere flog zum Mund, die Augen wurden groß vor Schreck. Was als Nächstes passieren würde, war klar: der Alarmruf, die Wachleute. Ich erkannte, dass meine Beine recht hatten. Sie hatten die Situation schneller erfasst als ich. Tief durchatmend blickte ich in die Tiefe. Dann sprang ich.
Während ich durch die Luft stürzte, streckten sich die Contours zu voller Länge aus. Die Hufe spreizten sich zu drei Zehen, um eine möglichst große Landefläche zu erreichen. Der Rasen von Better Future schoss auf mich zu, und ich schloss die Augen. Dann versuchte mein Rückgrat, den Schädel aufzuspießen. Als ich wieder sehen konnte, waren die Contours nur noch einen Meter lang und hatten keine Hufe mehr. Vermutlich abgebrochen. Dann fingen sie an, sich wieder auszustrecken, und mir fiel ein, dass sie so auf eine Kollision reagierten: Sie zogen sich zusammen, um den Aufprall abzufangen. Die Hufe hatten sich in den Boden gebohrt. Ich zerrte erst einen heraus, dann den anderen, und schüttelte Erdklumpen ab.
Nur wenige Meter weiter lag der Manager. Aus der Nähe sah er auch nicht besser aus. Ich fühlte mich elend, dann wurde ich wieder wütend, denn wenn der Manager bessere Körperteile gehabt hätte, wäre ihm nichts passiert. Er wäre auf Maschinenbeinen herumgelaufen und hätte mich nicht in diese Situation gebracht. Was war das für ein Vorstandsvorsitzender, der ein Projekt zur Herstellung künstlicher Körperteile aufzog und selbst keine hatte? Einfach grotesk. Aufgebracht starrte ich diesen biologischen Abfall an. Ich hatte schon bessere Momente erlebt.
Vor mir glitten die Türen zur Eingangshalle auf. Ich dachte: Vielleicht sind es keine Wachleute, und täuschte mich. Dann dachte ich: Vielleicht wissen sie nicht, dass ich das war, und als sie ihre Waffen zogen, dachte ich: Wenn ich nicht weglaufe, werden sie nicht schießen – und lag wieder falsch.
Der erste Schuss klatschte in meinen linken Bizeps. Ich empfand es weniger als physischen Schmerz denn als Beleidigung. Mir war nicht klar gewesen, wie unglaublich kränkend es war, wenn einem jemand mit Absicht eine Verletzung zufügte. »Hey!« Meine Stimme war heiser vor Empörung. Ich hatte gute Lust, auf diesen Wachmann zuzumarschieren und ihm zu erklären, dass ich verdammt noch mal ein Mensch war, ein Mensch mit einem Gehirn und Rechten und einer Ausweiskarte, auf den man nicht einfach schießen konnte. Man konnte einen Menschen nicht einfach umbringen. Angesichts der verkrümmten Leiche des Managers war diese Argumentation natürlich ein wenig abstrus, aber das fiel mir in diesem Augenblick gar nicht auf. Ich war ungehalten, weil sich jemand an meinem Bizeps vergangen hatte. Was mich letztlich zur Aufgabe meines Plans bewog, war die Erkenntnis, dass diese Kugel wohl nicht die letzte Beleidigung an diesem Tag bleiben würde: dass mir noch weitere Beleidigungen entgegenfliegen würden, wenn ich mich nicht sofort aus dem Staub
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