Maschinenmann: Roman (German Edition)
machte.
Gedacht, getan. Meine Beine zündeten, mein Hals knickte zurück. Etwas sirrte so dicht an meinem Kopf vorbei, dass der Luftzug Haare mitsaugte. Ängstlich klammerte ich mich an den Seiten des Eimersitzes fest, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Das war zwar praktisch unmöglich, aber so fühlte es sich nicht an. Bei jedem Schritt streckten sich meine Beine, und die Hufe bohrten sich in den Rasen. Auf einem feuchten Grasstück kamen sie ins Schlittern, dann erreichten wir den Gehsteig, und ich spürte, wie sie ihren Rhythmus fanden. Beton mochten sie. Genau wie ich. Ich hielt mich fest, und Autos und Bäume schwirrten an mir vorbei, bis die Wachleute ganz weit hinter mir waren. Erst als ich in Sicherheit war, fiel mir ein, dass ich etwas Wichtiges zurückgelassen hatte.
Ich spiele nicht in der Lotterie. Was in meinem Horoskop steht, ist mir egal. Meiner Ansicht nach ließen sich die meisten Dinge auf der Welt verbessern, wenn die Menschen mehr darüber nachdenken würden, was sie machen. Wenn sich jemand über seinen Computer ärgert, bin ich meistens auf der Seite des Computers. Ich halte Kunst für über- und Brücken für unterschätzt. Eigentlich begreife ich nicht, warum Brücken keine Kunst sind. Offenbar werden sie dafür bestraft, dass sie einen Nutzen haben. Wenn ich eine Brücke baue, die mitten in der Luft endet, dann ist das eine Skulptur. Aber stellt man sie zwischen zwei Landflächen und lässt sie zweihunderttausend Fahrzeuge pro Tag befördern, dann ist es Infrastruktur. Das ist widersinnig.
Das alles erwähne ich, weil ich als Nächstes etwas nicht unbedingt Logisches tat. Und wenn ich so etwas von jemand anderem hören würde, würde ich ein wenig den Respekt vor diesem Menschen verlieren. Ich würde mir denken: Wie blöd darf man eigentlich sein? Aber damit würde ich der Schwierigkeit der Einschätzung einer Notsituation aus dieser heraus nicht ausreichend Rechnung tragen. Wenn jemand auf einen schießt, schickt der Hypothalamus einen Blitzschlag in die neuroendokrinen Zellen, die sofort Cortisol, Adrenalin und Norepinephrin in den Blutkreislauf ausschütten, und dann ist man auf einmal kein besonders guter Entscheidungsfinder mehr. Stattdessen ist man ein schneller Entscheidungsfinder. Damit will ich mich nicht hinter meiner Biologie verstecken, denn ab einem gewissen Punkt muss man die Verantwortung für die eigene Neurochemie übernehmen. Ich will nur darauf hinweisen, dass die Entscheidung für Kampf oder Flucht nicht von mir ausging, sondern von meinem Körper.
Ich bremste und stoppte. Vorn auf dem Gehsteig mühte sich eine ältere Lateinamerikanerin mit Einkaufstüten ab. Als sie meine Hufe sah, quollen ihr die Augen aus dem Kopf. »Diablo.«
Lola war da hinten. Sie hatte weiß Gott was in ihrer Brusthöhle. Cassandra Cautery hatte behauptet, dass sie in guten Händen war, aber das war bestimmt eine Lüge. Sie hatten Lola ohne ihr Wissen ein Gerät eingesetzt.
»Diablo!« D ie Frau kreischte.
Vielleicht sollte ich mich an die Polizei wenden. Ihr von der Frau mit dem defekten besseren Herzen erzählen, um das sie nicht gebeten hatte. Das musste doch ein Verbrechen sein. Und die Wachleute hatten auf mich geschossen, das war gegen das Gesetz, also sollte die Polizei doch auf meiner Seite sein. Ich hatte Metallbeine, aber das konnte man mir schließlich nicht zum Vorwurf machen. Allerdings hatte ich den Manager umgebracht. Aus Sicht der Polizei war ich ein Gewaltverbrecher. Hatte mich Better Future bereits angezeigt?
»Diablo!«
»Ruhe.« Ihr Gekeife störte mich beim Nachdenken. Mein verletzter Bizeps erwachte allmählich aus seiner angenehmen Taubheit und sandte erste stechende Signale der bevorstehenden Qualen aus. Ich versuchte, mich zu konzentrieren. Meine Beine zitterten. Das war merkwürdig. Ich hatte gar nicht gewusst, dass sie das konnten. Wenn nur Lola hier gewesen wäre! Sie hätte genau gewusst, was zu tun war. Das war meine Schwäche. Ich konnte das Verhalten von Menschen nicht vorhersagen. Lola schon.
Vielleicht gab es einen Hintereingang. Eine Tür zu Better Future, die nicht von Sicherheitskräften mit Waffen bewacht wurde. Waffen, die sie ohne Scheu benutzen würden. Im Kopf spulte ich den Grundriss ab. Nein, so eine Tür gab es nicht.
»Diablo!« Die Frau ließ jetzt ihre Lebensmittel fallen und klatschte sich die Hände auf die Wangen. »Diablo!«
»Warum kehre ich dann um?«, rief ich. Ich war nicht sauer auf sie. Es war nur eine Gefühlsaufwallung,
Weitere Kostenlose Bücher