Masken der Begierde
Raum.
Eine unglaublich dicke Frau thronte auf einem Stuhl, während sie die bloßen Beine in einer runden Holzwanne versenkte, in der Wasser dampfte. Ihr Haar war zu einem strengen Dutt aufgesteckt, und um ihren kaum erkennbaren Hals hing ein Handtuch. Sie nieste, und ihre kleinen Schweinsäuglein tränten.
„Wer seid Ihr, und wie kommt Ihr hier herein?“, blaffte sie Lucas an, bevor sie ihr Gesicht in einen Lumpen vergrub und sich lautstark schnäuzte.
„Mein Name ist Lucas St. Clare, Earl of Pembroke. Man hat meine Schwester entführt und bei Euch einliefern lassen. Ich fordere ihre Herausgabe.“
Die fette Dame wischte sich mit dem Lappen über die Nase und wandte sich Lucas zu. Ihr Blick flackerte. „Unsinn, wir sind keine Geiselnehmer. Wie kommt Ihr darauf, dass sich das Mädchen bei uns befindet?“, ächzte sie.
Lucas verschränkte die Arme vor der Brust, und Violet sah aus dem Augenwinkel, dass Gregory nervös von einem Bein auf das andere hüpfte.
„Zwingt mich nicht, mitten in der Nacht Richter Grimes und seinen Konstabler aus dem Schlaf zu reißen. Überdies ist meine Schwester mit dem Marquis of Northumberland verlobt“, log Lucas geschickt. „Was meint Ihr, Mrs. Albany, wie schnell Ihr Euch als Insassin Eurer eigenen Anstalt wiederfindet, wenn dem Marquis bekannt wird, was Ihr seiner Verlobten angetan habt?“
Mrs. Albany sprang auf, erstaunlich schnell für ihre Leibesfülle, und wedelte mit dem Arm in Gregorys Richtung.
„Nichtsnutziger Lump, führ Seine Lordschaft zu dem neuen Mädchen. Er soll sie mitnehmen“, bellte sie, und ihre Augen quollen aus den Höhlen.
„Ma’am“, jammerte der Irrenschließer.
„Raus“, keuchte sie und ließ sich auf den Stuhl plumpsen, der daraufhin gefährlich knarzte und quietschte. Gregory stapfte aus dem Raum.
Lucas drehte sich um und schenkte Violet ein zufriedenes Lächeln. Er reichte ihr seinen Arm und folgte Gregory.
Der Irrenschließer führte sie in den Anstaltstrakt, oben im ersten Stock blieb er vor einer Tür stehen. Er öffnete ein Fensterchen auf Augenhöhe und trat beiseite.
„Ist sie das?“, brummte er.
Lucas stieß ihn zur Seite und warf kaum einen Blick hinein. „Macht auf“, befahl er aus zusammenpressten Zähnen. Er verbreitete die Aura von unterdrückter Wut.
Der Irrenschließer zitterte und wagte kaum, Lucas anzublicken.
„Wenn meine Schwester auch nur einen Kratzer aufweist oder einen Schnupfen hat, wirst du das tausendfach büßen!“, drohte Lucas dem Knecht.
Der öffnete ein paarmal den Mund, ohne einen Laut hervorzubringen, und krächzte schließlich: „Ich halte mich nur an meine Befehle!“
Gregory klapperte mit den Schlüsseln und schloss die Tür umständlich auf.
Lucas schob sich an ihm vorbei, stürmte in die Zelle und kam Augenblicke später mit Allegra auf den Armen wieder heraus. Sie vergrub ihr Gesicht an Lucas’ Brust und schluchzte leise. Violet schlüpfte aus ihrem Spenzerjäckchen und breitete es über Allegra aus.
Zum ersten Mal wandte Violet sich an den Irrenschließer. „Was steht Ihr hier herum? Holt uns eine Decke, einen Mantel, irgendetwas“, trug sie dem Mann auf.
Sie saßen wie ein Menschenknäuel ineinander verflochten in der Kutsche.
Allegras Augen waren gerötet, und ihre bleiche Haut mit den tiefen Augenschatten verriet, dass sie eine schlimme Zeit hinter sich hatte.
„Neil sagte, niemand fände mich in der Irrenanstalt“, schniefte sie.
Lucas und Violet fixierten sich einen Moment lang.
„Ally, ich würde den Rest meines Lebens mit der Suche nach dir verbringen, wenn ich wüsste, dass du meine Hilfe benötigst.“, entgegnete Lucas mit sanfter Stimme.
„Ich weiß“, murmelte Allegra, ihren Blick immer noch auf Clark gerichtet. Der junge Mann streichelte ihre Hand. „Aber ohne Clark hättet ihr mich nicht gefunden.“
Violet warf beiden einen Blick zu. Allegra himmelte ihn an, und Clarks Bewunderung war nicht die eines schwärmerischen Jungen. Sie erinnerte sich an die breiten Schultern, die schwellenden Oberarme und die festen Muskeln Clarks. Nein, Clark Sterlings jugendliches Aussehen mochte täuschen, doch er war kein Junge mehr. Er war ein Mann. Sie schluckte. Sie würde mit Lucas reden müssen, ehe Dinge geschahen, die besser vermieden wurden.
„Niemals wird dir wieder ein Unheil geschehen, Ally. Ich verspreche es dir“, flüsterte Clark. Die Intensität seiner Worte riefen Schuldgefühle in Violet hervor. Sollte sie sich wirklich einmischen? Clark lag
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