Masken der Begierde
werdet es bereuen“, verkündete Lucas unheilverkündend. Seine Stimme klang so kalt, dass Violet fröstelte. Er näherte sich Wilbur einen Schritt, und dieser wich zurück.
„Ich weiß, wann es an der Zeit ist, sich geschlagen zu geben.“ Der Viscount ging an Lucas vorbei, beobachtete ihn aufmerksam und warf Violet einen kurzen Blick zu. Ihr entging das berechnende Funkeln in seinen Augen nicht.
„Miss Delacroix, Schulden werden bezahlt“, zischelte er, und seine Nasenflügel zuckten verächtlich.
Lucas zog Violet hinter sich. Er wartete, bis Wilbur Cotswold-Tawkley, Viscount Hampstead, das Weite gesucht hatte, ehe er sich Violet zuwandte.
„Wer ist Isadora?“ Seine Augen wirkten ruhelos wie die sturmumtoste See. Er streckte seine Arme aus und hielt Violet an den Schultern fest. Sie schluckte und kämpfte gegen die Tränen an, die gegen ihren Willen aufstiegen. Lucas fixierte sie. „Violet, wer ist Isadora?“
Heiß quollen die Tränen hervor, nässten ihre Wangen und tropften über Kinn und Kiefer auf ihr Kleid. Lucas’ Hand berührte ihr Gesicht sacht. Dort, wo ihre Wange an die Mauer gedrückt worden war, schmerzten selbst die Tränen. Lucas starrte auf die lädierte Gesichtshälfte.
„Wir werden nach Hause fahren. Ich behaupte, du wärest wegen eines Schwächeanfalls gestürzt“, bestimmte Lucas.
Violet nickte ergeben.
Wenig später saßen Lucas und Violet in der Kutsche zurück nach Halcyon Manor. Allegra hatte verlangt, auf dem Kutschbock bei Martin sitzen zu dürfen, und zu ihrer großen Freude hatten Violet und Lucas es erlaubt.
Lucas sprach kein Wort, musterte Violet nur und fragte sich, was die Szene auf dem Balkon zu bedeuten hatte. Was hatte dieser ölige Wilbur Cotswold-Tawkley von Violet gewollt? Woher kannte er sie, und womit wollte er sie erpressen?
„Wer ist Isadora?“
Violet zuckte zusammen. Ihre Augen leuchteten im Dunkeln. Lucas erkannte, dass ihre Hände zitterten. Sie blickte aus dem Fenster, starrte minutenlang auf die vom Mond erhellte Landschaft dort draußen.
„Das ist eine lange Geschichte“, sagte sie. „Ich würde sie lieber in anderer Umgebung erzählen.“
Lucas nickte.
Violet zögerte, als sie vor der Tür stand. Lucas erwartete sie. Eben noch, als ihre Schrammen von Mrs. Harvey versorgt wurden und sie in ein bequemes Kleid schlüpfte, schien es ihr nicht schwerzufallen, Lucas die Wahrheit zu gestehen. Nun, Momente vor ihrem Geständnis, pochte ihr Herz fast schmerzhaft gegen ihre Rippen.
Sie biss sich auf die Lippen. Sie konnte ihm nicht die ganzen Vorkommnisse erzählen. Viel zu tief saß die Scham. Sie holte tief Luft und trat ein.
Lucas hatte sein Jackett abgelegt, den Kragen seines Hemds gelockert und die Ärmel umgekrempelt. Er deutete stumm auf die Récamiere. Violet setzte sich gehorsam.
„Etwas zu trinken? Der Tee ist frisch.“ Er schenkte Violet eine Tasse ein, ohne ihre Antwort abzuwarten.
Violet nahm sie entgegen und rührte nervös herum. Ihr Magen vollführte kleine Saltos, und ihre Kehle fühlte sich rau an. Sie räusperte sich, ehe sie einen Schluck des Getränks zu sich nahm.
Lucas setzte sich ihr gegenüber und wartete geduldig. Violet sah ihm in die Augen.
„Ich bin Isadora. Ich war Isadora“, verbesserte sie sich. „Aber das ist nicht mein Geburtsname. In Wahrheit heiße ich Lady Isabel Dorothea Waringham.“
„Die Tochter des Duke of Okeham.“ Lucas legte die Fingerspitzen seiner Hände aneinander, sodass sie ein Dreieck bildeten. Er wirkte kaum überrascht, offensichtlich hatte er dergleichen bereits geahnt.
Violet blickte in ihren Tee. „Ja“, entgegnete sie schlicht.
Sie schwiegen eine Weile, dann erhob sich Lucas. „Mir ist nach etwas Stärkerem zumute“, meinte er. „Möchtest du auch etwas?“
Violet schenkte ihm ihre Aufmerksamkeit. „Dasselbe wie du.“
„Also einen Brandy“, folgerte Lucas. Er öffnete seine Hausbar und durchforstete deren Inhalt, Flaschen mit schillernden Flüssigkeiten. Er holte eine Kristallkaraffe heraus. „Wie erfreulich, Jeremy hat mit den Hausmädchen gesprochen. Diesmal haben sie sich um Ordnung bemüht.“ Er goss den Brandy ein, verstöpselte die Karaffe und verstaute sie wieder im Schrank. Dann kehrte er mit den Gläsern zu Violet zurück, reichte ihr eines und setzte sich, ehe er trank.
Er kam ihr so entspannt und genießerisch vor, dass Violet einen mutigen Schluck nahm. Der Alkohol brannte ihre Kehle entlang und floss in feurigen Rinnsalen in ihren Magen.
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