Masken der Lust (German Edition)
verschleierten den Himmel.
Aber die Straßen und Kanäle waren ziemlich gleich geblieben. Hatten sie erst einmal die touristischen Gebiete hinter sich gelassen, offenbarte sich eine vertraute Heiterkeit. Die warmen Farben der verputzten Mauern, die kleinen Brücken, das leise glucksende Wasser in den unzähligen Kanälen: Es war alles dasselbe.
Sie gelangten zum Campo Santo Stefano, einem langen Platz voller schicker Venezianer, die ein Glas Wein tranken oder ein Gelato genossen.
«Ooh. Ich will auch eins», rief Sarah. Nach ihrem Spaziergang fühlte sie sich eigentümlich glücklich und deutlich ruhiger als vorher.
«Paolin hat das Beste. Sollen wir reingehen?»
Sarah nickte. Er hielt ihr die Tür auf, und sie warteten ab, bis sie an der Reihe waren, nahmen ihre Becher mit nach draußen und suchten sich einen Tisch.
Sie verlor keine Sekunde. Eine Kugel samtiges Haselnusseis und eine Kugel Schokolade waren in ihren Becher gequetscht mit einem Löffel dazwischen. Marco hatte sich für Zitrone und Granatapfel entschieden. Sie war der festen Absicht, auch von seinem etwas abzubekommen.
Ringsherum spielten Kinder unter Aufsicht ihrer Eltern und vereinzelt auch der Großmütter. Sarah und Marco aßen langsam ihre Gelati und tauschten ganz nach Laune ihre Becher, um auch die anderen Geschmacksrichtungen zu kosten.
Sie beobachtete ein entzückendes Paar Zwillingsschwestern von ungefähr drei Jahren, die ganz in ihrem Versteckspiel aufgingen. Um sich zu verstecken, machte die eine einfach die Augen zu, damit ihre Schwester verschwand, und kreischte vor Freude auf, als sie sie am Arm berührte. Sie hatten dunkles Haar, das mit Bändern zurückgebunden war, und süße kleine Kittelkleider. Sarah dachte an ihre eigene geschwisterlose Kindheit zurück und freute sich für die beiden.
«Möchtest du Kinder haben?», fragte Marco auf einmal. «Ja. Noch nicht so bald, aber letztlich schon.» Sie löffelte ihr Gelato aus und sah ihn an.
«Junge oder Mädchen?»
«Egal. Solange es –» Solange es normale Kinder waren. Keine kleinen Hexen oder Zauberer. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wie die Zubettgehzeit bei Marcos Nachwuchs verliefe. «Hey, wie steht es bei dir damit?»
Er schob seinen leeren Eisbecher beiseite, verschränkte die Hände hinter dem Kopf und lehnte sich zurück. «Ich brauche eine Sterbliche. Meine Mutter war eine Sterbliche.»
«Oh.» Ihr fiel ein, dass seine Eltern nicht mehr lebten. «Bei ihnen waren wohl Mai und Dezember des Lebens miteinander verheiratet, was?»
«Das stimmt. Möchtest du gern heiraten?»
Sarah schluckte den kühlen, sahnigen Bissen Eis auf ihrer Zunge hinunter und richtete ihren Löffel anklagend auf ihn. «Lass die Versuche, mich zu verführen.»
«Ich habe bloß gefragt.»
«Die Antwort lautet allerdings: Ja. Eines Tages.»
Er warf ihr einen unternehmungslustigen Blick zu, als habe er ohne ihr Wissen einen bedeutsamen Vorteil erlangt. «Mich?»
«Hör auf, Marco. Wir werden dieses Gespräch nicht führen. Sollte irgendetwas zwischen uns passieren …» Sie brach ab und kratzte sorgfältig ihren Becher aus, während sie sich überlegte, was sie sagen wollte. Eine Menge unglaublich wunderbarer, abgefahrener und herrlicher Dinge war bereits passiert. Und es war ja nicht so, als könnte irgendein anderer Mann ihr das Leben bieten, das er ihr bieten konnte.
Doch sie mussten trotzdem in dem Schritttempo der Sterblichen vorgehen. In seinem Reich der schrägen Gestalten und Zauberei konnte sie nicht mit ihm mithalten.
Aber die gewöhnlichsten Dinge mit ihm zu unternehmen war schon genauso zauberhaft. Ach, zum Teufel.
«Gehen wir», sagte sie. Sarah sammelte ihre leeren Eisbecher ein und stand auf. Sie warf sie in einen Abfalleimer, der in der Nähe stand, und ging die erstbeste Straße hinunter.
Die Straße machte Biegungen und wand sich und wurde schließlich schmaler. Sie marschierte weiter voran. Marco hätte sie ohne weiteres überholen können, blieb jedoch ein kleines Stück zurück.
Sarah sah zu den Gebäuden empor, die sich aneinanderzulehnen schienen. Blütengewächse hangelten sich von schmiedeeisernen Balkonen hinunter, die zu schmal waren, um sonst etwas zu tragen, und stachen leuchtkräftig von den weichen Farbtönen auf dem Putz und den Ziegelsteinen ab.
Sie sah das Schild noch vor Marco: Arcana. Heiliger Strohsack. Den alten Buchladen gab es noch immer. Sarah blieb wie angewurzelt stehen und spähte durch die Scheibe. Und er verkaufte anscheinend
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