Masken - Unter magischer Herrschaft: Roman (German Edition)
sprach Nolina aus, was Ferin durch den Kopf ging: »Nein. Hier nicht mehr. Hier wohnt die Vergangenheit. Hier leben Tamir und Rhys und all die anderen. Ihnen gehört dieses Stück Erde. So lange, bis es der Dschungel wieder übernimmt.«
»Dann also Rhivar«, sagte Dawid sofort, und die anderen stimmten zu.
Ja, dachte Ferin, es fühlt sich richtig an. Sich in Rhivar eine Existenz aufzubauen, die Stadt aus ihrem Schlaf zu reißen, die verfallenen Gemäuer mit neuem Leben zu erfüllen mochte der eine Schritt sein, der den Kreis schloss. Sie würden an jenem Ort neu anfangen, den ihr Volk vor mehr als zweihundert Jahren verlassen hatte.
Fürs Erste jedoch mussten sie mit den Hütten vorliebnehmen. Sie saßen ab, entließen die Pferde in die Savanne und setzten sich am Dorfplatz um das Feuer zusammen.
Dawid hatte Kesía und Laiko aus Rhivar abgeholt, und nun berichteten sie den beiden von den Ereignissen in Laigdan. Zorba erzählte vom Auftauchen der drei Tiger und wie er es geschafft hatte, die Verstärkung anzuwerben. Abwechselnd beschrieben Nolina und Martu ihre Reise mit der Nita und wie es gelungen war, Ferin im letzten Moment aus dem Wasser zu ziehen. Dawid entschuldigte sich ganz förmlich für sein beleidigendes Verhalten am Feuerplatz und bedankte sich bei ihm, dass er ihm während des Kampfes beigestanden hatte. Martu lachte und tat das als Selbstverständlichkeit ab, doch Ferin spürte in ihm Freude und ein kleines bisschen Stolz aufglühen. Darüber, dass sie ihn akzeptiert und in ihrer Mitte aufgenommen hatten.
Während die anderen plauderten, schweiften Ferins Gedanken ab. Immer noch erschien es ihr unfassbar, dass die Masken von Pheytanern erschaffen worden waren. Die Merdhuger, und allen voran der jeweilige Gán, hatten natürlich Kenntnis über die Vorgänge in den Höhlen hinter dem Spiegel gehabt. Laquor hatte in Peltons Arbeitsraum Aufzeichnungen über das ausgeklügelte System der Maskenherstellung gefunden und den Rebellen bereitwillig Auskunft erteilt. Über all die Zeit hinweg hatten die Magier einander abgelöst, in der festen Überzeugung, ihrem Volk etwas Gutes zu tun. Ihr ganzes Leben verbrachten sie im Berg, ohne Kontakt zur Außenwelt. Sie verließen die Höhlen nur, um einen geeigneten Nachfolger auszuwählen, was oft Jahre in Anspruch nahm, da sie ja weiterhin ihre Pflicht zu erfüllen hatten. War der junge Zauberschüler einmal gefunden, wurde er im Geheimen ausgebildet, damit er nach dem Dahinscheiden seines Meisters dessen Aufgabe übernehmen konnte. So blieb die lückenlose Versorgung mit Masken gewährleistet.
Erst der Gán hatte gegen diese Tradition aufbegehrt. Er hatte sich von seinem Lehrer abgewandt, die Höhlen verlassen und sich bei der Garde vom einfachen Soldaten zum Statthalter hochgedient. Wie es zum Bruch zwischen Lehrer und Schüler gekommen war, zählte zu jenen ungelösten Rätseln, über die sie nur spekulieren konnten. War Peltons Beweggrund tatsächlich reine Machtgier gewesen? Sobenio jedenfalls vermutete, dass er sich mit seinem Schicksal nicht hatte abfinden wollen. Wer zog schon freiwillig ins Dunkel, wenn er auch im Licht stehen konnte? Womöglich war Pelton auch der erste Magier gewesen, der erkannt hatte, dass die Maskierung seinem Volk nicht die ersehnte Freiheit, sondern den Untergang brachte. Dieser Widerspruch zu dem, was Miloh ihn gelehrt hatte, musste sehr verwirrend für den jungen Mann gewesen sein. Und offensichtlich hatte er – auf der Flucht aus seinem Dilemma – einfach den falschen Weg gewählt.
Das ganze Leben ist eine Verkettung von Abzweigungen, hatte Sobenio Ferin erklärt und sie dabei hintergründig angeblickt. Es kann ganz leicht passieren, dass man die falsche Richtung einschlägt und sich selbst verliert. In so einem Fall kann man nur hoffen, dass ein Freund dies bemerkt. Dass er einen an die Hand nimmt und befreit. Ferin hatte verstanden, was er damit ausdrücken wollte – sie war für ihn dieser Freund gewesen. Sie hatte ihn zurück auf den rechten Weg geführt. Es war seine Art, ihr dafür zu danken.
Sie selbst hatte den Ausgang aus ihrem Labyrinth allein gefunden. Dank Nolina hatte sie im entscheidenden Moment die richtige Abzweigung gewählt. An jenem schicksalhaften Tag, als sie aus der Hütte ans Feuer getreten war, um sich den Rebellen anzuschließen.
Und endlich begriff sie: Sie war niemals schwach gewesen, sondern stark. Viel stärker, als sie geahnt hatte. Mit aller Kraft hatte sie sich gegen ihre Herkunft
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