Maskenball
schwarzen Halter für seine Kugelschreiber steckte. Dann schloss er die Augen und fächelte sich genüsslich den Duft der rauchenden Stäbchen zu.
»Oh, Mann, Sandelholz.« Frank erinnerte der Geruch an diverse Feten in seiner Jugend, auf denen unter dem obligatorischen roten Che-Guevara-Poster dutzende Räucherstäbchen brannten und Inside Looking Out von Grandfunk Railroad völlig übersteuert aus schwarzen, selbst gebauten Spanplatten-Boxen dröhnte. Meistens endeten diese Abende mit gemeinschaftlichem Kotzen, weil jeder mal wieder zu viel Bier und roten Genever durcheinander gesoffen hatte, statt sich um die wenigen anwesenden Mädchen zu kümmern.
Eine knappe Stunde später hielt Frank auf dem Lambertimarkt. Er parkte direkt vor der kleinen Geschäftszeile gegenüber dem alten Breyeller Kirchturm. Obwohl es unterwegs heftig angefangen hatte zu schneien und er vorsichtig fahren musste, fühlte Frank sich ausgeruht und zufrieden. Endlich hatte er ohne Eckis bissige Kommentare seine Musik hören können. Viel wichtiger war allerdings, dass er Zeit gehabt hatte, sich in Gedanken mit Lisa und ihrem Kind zu beschäftigen. Frank freute sich unbändig auf das Kind und auf ihre gemeinsame Zukunft. Daran hatte er eigentlich schon gar nicht mehr geglaubt, dass er noch einmal Vater werden könnte. Er hatte an Ecki gemerkt, wie sehr Kinder Erwachsene verändern, und wie sehr viel mehr Ruhe und Ausgeglichenheit in das eigene Leben einkehren, wenn man sich mit den eigenen Kindern beschäftigen konnte. Er war zuversichtlich, dass von jetzt an nur noch schöne Jahre vor ihm lägen. Und er freute sich schon jetzt auf den Tag, an dem sein Kind sein erstes STIXS-Konzert hören würde. Er würde stolz sein, für sein Kind spielen zu können, dachte Frank.
Als er aus dem Wagen stieg, kam ihm Hiltrud Claassen schon entgegen. Gemeinsam betraten sie das rot geklinkerte und weiß abgesetzte Gebäude, das sich über die ganze Breite des Marktes erstreckte. Verhoevens Wohnung lag im ersten Stock. Es war nicht das erste Mal, dass Frank in dem Haus war. Als er die Stufen des schmucklosen Treppenhauses emporstieg, erinnerte er sich, dass er als Kind mit seinen Freunden in dem Rohbau des Gebäudes Gangster und Polizei gespielt hatte.
»Hier ist es.« Hiltrud Claassen schloss die Wohnungstür auf.
Er trat in den düsteren Wohnungsflur und ging direkt durch bis ans Wohnzimmerfenster. Es war kalt in der Wohnung. Ein ferner Geruch von abgestandenem Kaffee lag in der Luft. Außerdem roch es nach ungelüfteter Wohnung. Frank musste an den Geruch in der Hardterwald-Klinik denken. Ja, so riechen die Wohnungen alter Menschen, dachte Frank.
Durch die Blumen auf der Fensterbank und das Schneetreiben konnte Frank den alten Kirchturm erkennen, der immer noch fast ganz hinter Bauplanen verschwunden war. Er wusste, dass die Restaurierung dieses Denkmals aus dem 14. Jahrhundert kurz vor dem Abschluss stand. Frank musste an den Bauunternehmer Dieter Böskes denken, den er vor noch nicht allzu langer Zeit vor dem Turm getroffen hatte. Damals, als er im Mordfall Heike van den Hövel ermittelt hatte. Frank fiel ein, dass er im Zuge der Ermittlungen in einer der Akten gelesen hatte, dass Böskes auch das Gebäude gebaut hatte, in dem er jetzt stand. »Die Aussicht auf den Marktplatz ist im Frühjahr sicher wieder schön. So mitten im Dorf wohnt es sich doch bestimmt gut.« Er drehte sich zu Hiltrud Claassen um.
»Für meinen Vater war die Wohnung ideal. Er hatte es nicht weit zum Bäcker Nethen oder den anderen Geschäften im Dorf. Außerdem kannte er viele Breyeller und hat immer jemanden für ein Schwätzchen gefunden. Nur im August, wenn das Breyeller Turmfest stattfindet, hat er sich immer beklagt. Die Musik war ihm zu wild und zu laut. Er selbst hat ja in Bracht im Verein gesungen. Und die vielen Leute, vor allem die Besoffenen, haben ihn gestört. Und dann der Krawall mit den Jugendlichen. Jedes Mal hat er dann die ganze Nacht kein Auge zu getan, hat er immer erzählt. Aber sonst, ja, sonst hat er sich wohlgefühlt hier.«
»Haben Sie sich schon mal einen Überblick über die persönlichen Sachen Ihres Vaters verschafft, Sparkonten, Lebensversicherung, Mietvertrag?« Frank setzte sich ungefragt in einen der beiden schweren lederbezogenen Holzsessel, die an dem klobigen Couchtisch standen.
Hiltrud Claassen setzte sich neben ihn auf die breite Couch. Sie hatte wie Frank ihren Mantel anbehalten. Sie musste schlucken, und ihre Augen füllten sich mit
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