MASKENBALL UM MITTERNACHT
durchrieselte.
„Oh ja, das Vergnügen, mit Ihnen zu tanzen“, fuhr er fort. Das Funkeln seiner Augen sagte ihr, dass er genau wusste, was ihr durch den Kopf ging.
Die ersten Takte eines Walzers erklangen, und der Fremde verneigte sich. Callies Herz klopfte schneller, als sie in seine Arme glitt. Sich mit einem Herrn im Walzertakt zu wiegen war weitaus intimer, als gemeinsam mit anderen Tänzern im Kreis zu einem ländlichen Reigen übers Parkett zu hopsen. Ihre Körper berührten einander beinahe, ihre Hand lag in seiner, sein Arm umfing ihre Mitte. Der vor Kurzem in Mode gekommene Tanz war schockierend intim und galt auf dem Lande in konservativen Kreisen immer noch als allzu freizügig. Selbst in London hatte Callie noch keinen Walzer mit einem fremden Herrn getanzt. Schon gar nicht mit einem, dessen Namen sie nicht kannte.
Andererseits konnte sie das erregende Gefühl nicht leugnen, sich in seinen Armen zu wiegen, und sie wusste, dass ihre glühenden Wangen nicht vom Tanzen herrührten.
Anfangs tanzten sie schweigend. Callie war vollauf damit beschäftigt, ihre Schritte den seinen anzupassen, fühlte sich beinahe ebenso gehemmt wie bei ihrem Debüt, fürchtete, aus dem Takt zu geraten und unbeholfen zu wirken. Allmählich fand sie ihr Selbstvertrauen wieder, da ihr Partner sich als exzellenter Tänzer erwies und sie sicher und schwungvoll im Dreivierteltakt durch den Ballsaal drehte.
Nach einer Weile wagte sie es, den Kopf zu heben, und stellte fest, dass der Cavalier sie sinnend betrachtete. Im Kerzenschein der Kristallleuchter glänzten seine Augen silbrig grau wie ein stürmischer Gewitterhimmel. Als er den Blick tief in ihre Augen senkte, stockte ihr der Atem. Sie war ihm so nahe, dass sie den Kranz seiner dunklen dichten Wimpern erkennen konnte. Wer mochte er sein? Nichts an ihm kam ihr vertraut vor. Kein Kostüm könnte einen Mann aus ihrem Bekanntenkreis bis zur Unkenntlichkeit verändern. Aber wie kam es, dass sie ihm noch nie begegnet war?
Ein ungebetener Gast vielleicht, der sich einen Maskenball zunutze machte, um sich unter die Gäste zu mischen, ohne eingeladen zu sein. Allerdings schien Lady Odelia ihn erkannt zu haben, also war diese Möglichkeit auszuschließen. Vielleicht ein Einzelgänger, ein Sonderling, der sich nicht gerne in Gesellschaft zeigte. Aber weshalb sollte er dann ausgerechnet zu diesem großen Ball erscheinen? Im Übrigen war sein Benehmen keineswegs das eines scheuen Eigenbrötlers.
Vielleicht hatte er sich einige Jahre in den Kolonien aufgehalten. Ein Soldat oder ein Marineoffizier, vielleicht … Oder ein Diplomat im auswärtigen Dienst … Ein passionierter Weltenbummler?
Sie schmunzelte über ihre eigenen erfinderischen Spekulationen. Zweifellos gab es eine völlig banale Erklärung. Schließlich kannte sie nicht jeden Aristokraten.
„Das gefällt mir“, stellte ihr Tanzpartner unvermittelt fest.
„Was denn?“, fragte Callie verdutzt.
„Ihr Lächeln. Sie musterten mich so lange stirnrunzelnd, dass ich bereits befürchtete, in Ungnade gefallen zu sein, ehe ich Sie kennengelernt habe.“
„Dann geben Sie also zu, dass wir einander fremd sind“, entgegnete sie mit leisem Tadel.
„Ja, ich gestehe, ich kenne Sie nicht. Eine schöne Frau wie Sie würde ich gewiss wiedererkennen, auch in Kostüm und Maske. Ihre Schönheit lässt sich nicht verbergen.“
Schon wieder stieg eine verräterische Hitze in Callie auf, stellte sie zu ihrem Unmut und ihrer Verblüffung fest. Immerhin war sie kein schüchternes Schulmädchen mehr, das sich von einer plumpen Schmeichelei aus der Fassung bringen ließ. „Und Sie, mein Herr, können nicht verbergen, dass Sie ein schlimmer Charmeur sind.“
„Sie kränken mich. Dabei dachte ich, ich sei unwiderstehlich.“
Callie lachte leise und schüttelte den Kopf.
„Ein Problem ließe sich mühelos aus der Welt schaffen“, fuhr er nach einer kurzen Pause fort, „wenn Sie mir Ihren Namen sagen und umgekehrt, sind wir einander nicht mehr fremd.“
Callie schüttelte erneut den Kopf. Der Mann hatte ihre Neugier geweckt. Es war amüsant und ungefährlich, mit ihm zu tanzen und zu schäkern, da er nicht wusste, wer sie war. Und es war unnötig, sich Fragen nach seinen Beweggründen und Absichten zu stellen. Sie musste seine Worte nicht auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen oder sich fragen, ob er mit ihr scherzte oder mit der reichen Erbin. Selbst bei wohlhabenden Herren, die ihr den Hof machten, ohne auf ihr Vermögen zu schielen,
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