Maskerade
daß schöne Menschen ihr überlegen seien. Man braucht nur unansehnlich, klein und farblos zu sein, um zu erkennen, wie viel besser es diejenigen haben, die gut aussehen. Jeder beachtet sie zuerst, und weil sie anderen durch ihr bloßes Dasein Freude bereiten, wissen sie, daß sich ihnen alle Türen öffnen, und meist ist dies auch wirklich der Fall.
„Kopf hoch!“ pflegte ihre Mutter stets zu sagen, „Schultern zurück, Penelope!“ Und gleich darauf verzweifelt: „O Penelope!“
Aber sie konnte nun einmal nichts dafür. Welche Beweise hatte sie überhaupt dafür, daß sie tatsächlich lebte, da man nur so selten von ihr Notiz nahm. Ihre Mutter verstand das alles nicht. Sie war plump und matronenhaft, ihr Haar hing in Strähnen herab, sie trug altmodische Kleider und hielt Dauerwellen für Zeitverschwendung. Sie kümmerte sich nicht darum, wie junge Mädchen sich kleideten, sondern sie war aktives Mitglied in der Liga für Frauenwahlrecht.
Zuweilen schickte Vater einen etwas sorgenvollen Blick über seine Zeitung hinweg zur Tochter hinüber und sagte darauf zu seiner Frau: „Hat Penny nicht etwas Hilfe bei der Wahl ihrer Kleidung nötig, Liebste?“ Offenbar sah er, daß irgend etwas an ihr nicht stimmte, aber er konnte nicht direkt den Finger darauf legen. Mutter schaute dann hoch und versprach, ihre Base Nora einmal zu fragen, was die jungen Mädchen heutzutage trugen, aber sie meinte auch, daß für ihre Begriffe Penny nett gekleidet sei; sie müsse sich nur gerader halten. Gewöhnlich sagte Vater dann, er sei nicht sicher, ob es richtig gewesen sei, eine derart abgelegene Farm gekauft zu haben.
Mutter schüttelte den Kopf und lächelte. „Du weißt, daß Penny die Farm gern hat, und außerdem wird sie ja ohnedies bald außerhalb zur Schule gehen.“ Es war, als sei diese Schule eine Zaubermedizin, die Penny verändern sollte.
Gewiß, sie liebte die Farm, dachte Penelope weiter. Zwar war es eigentlich kein richtiger Bauernhof, aber es machte Vater Spaß, das Anwesen so zu bezeichnen. Vater hatte sich mit sechzig Jahren pensionieren lassen, nachdem er dreißig Jahre lang als Lehrer tätig gewesen war, und er begann sofort, das 125jährige Haus zu renovieren und ein paar der zweihundert Morgen Wald zu roden. Es war das reinste Kindheitsparadies gewesen. In der alten Scheune befanden sich noch immer ein Heuboden und die Futterraufen, und im Schuppen stand ein vorsintflutlicher Ford, in dem Penny Stunden um Stunden gesessen und sich eingebildet hatte, um die Welt zu reisen. Besonders liebte Penny die Wälder, die ganz ihr gehörten und sich von ihr erforschen und auf selbstgezeichneten Karten darstellen ließen. Im Sommer konnte sie sich auf der Wiese ausstrecken und über das Tal zu den welligen Hügeln schauen, die ihre Heimat umrahmten, und dabei hatte sie sich zuweilen so gefühlt, als sei sie das einzige menschliche Wesen im Umkreis von vielen Meilen.
Aber es war auch einsam dort gewesen, oder fühlte sie erst jetzt, da sie älter wurde, daß die Stille ringsum zu einer Verlassenheit wurde, die schmerzte? Oft hatte sie sich nach einer Freundin gesehnt, mit der sie hätte plaudern können. Sie fühlte sich übergangen, nutzlos und minderwertig. Jeden Morgen fuhr sie zehn Meilen mit dem Bus in die Kreisschule, und nach dem Unterricht mußte sie stets sofort den Bus zurück nach Hause nehmen. Andere Mädchen sah sie nur bei Festlichkeiten von Mutters Frauenklub oder in der Sonntagsschule, und sie wußte nie recht, was sie mit ihnen reden sollte, weil sie immer in irgendwelche geheimnisvollen Erlebnisse mit den Jungen verstrickt schienen. Die Bekannten ihrer Eltern waren zu alt, um Kinder ihres Alters zu haben; die meisten hatten bereits Enkel. Was Jungen anging, so bekam sie Angst, sobald sie nur einen sah. Sie waren abscheulich und gönnten ihr nicht einmal einen Blick. Es war eine Welt für sich, in der diese jungen Leute lebten, von der sie nichts wußte, und nachdem sie über ein Jahr lang sehnsüchtig nach Freundinnen Ausschau gehalten hatte, hatte sie sich nun zurückgezogen und ihre eigene Welt gebaut.
Diese eigene Welt hatte sie in Form der Zeitschriften der National Geographie Society 1 und einer riesigen Landkarte mit hierher gebracht, denn sie erwartete nicht, daß sie hier weniger einsam sein würde als daheim. Sie war nicht so dumm, sich selbst einreden zu wollen, daß andere Leute ihr gleichgültig seien. Das waren sie ganz und gar nicht. Sie hätte alles dafür gegeben, um in eine
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