Maskerade
Gemeinschaft hineinzuwachsen, aber es hatte keinen Sinn, wegen einer unabänderlichen Tatsache unglücklich zu sein.
Sie war still und ein wenig der Typ des Blaustrumpfs. Sie liebte nachdenkliche Beschaulichkeit und fühlte sich am wohlsten, wenn sie für sich allein war, und äußerst beunruhigt, sobald sie sich beobachtet fühlte. So war es nun einmal. Eine schwache Hoffnung mochte vielleicht bestehen, daß sie hier im Heim ein anderes Mädchen kennenlernte, das genau wie sie war. Sie hatte gemeinsam mit Dora Nebbs jeden Mittag in der Schulkantine gegessen und wäre gern mehr mit ihr zusammen gewesen. Aber nach Schluß des Unterrichts warteten immer schon die Busse, so daß Penny und Dora sich rasch voneinander verabschieden mußten, und da Dora 10 Meilen südlich der Schule und Penny 10 Meilen nördlich davon wohnte, war es nicht möglich, sich gegenseitig zu besuchen. Trotzdem hatte Penny es geschätzt, eine Gleichaltrige zu kennen und besonders eine, die nicht nur Freundschaften mit Jungen im Kopf hatte. Vielleicht war es das, was sie zueinander hingezogen hatte. Sie waren beide Außenseiter, „Zaungäste“ hatte Dora sie beide mit abgründigem Lächeln genannt.
Über diesen Erinnerungen war Penny mit dem Auspacken fertig geworden. Es fiel ihr erst jetzt auf, daß sie noch immer die Reisekleidung anhatte. Mit einem Seufzer bemerkte sie, daß der Rock bereits in der Eisenbahn einen Schokoladefleck abbekommen hatte. Sorgfältig legte sie ihn ab, hängte ihn über einen Bügel, zog die verwaschene blaue Leinenhose an und streifte sich einen Pullover über den Kopf. Gern hätte sie gewußt, ob es bereits zu spät war, etwas gegen den Schokoladefleck zu tun, und ob man ihn mit kaltem oder mit warmem Wasser entfernen sollte. In Zweifelsfällen war wohl immer heißes Wasser und Seife das beste, entschied sie.
Das bedeutete nun, daß sie die Tür aufschließen und sich auf den Flur hinaus wagen mußte. Einen Augenblick lang zögerte sie. Es war ihr nicht klar gewesen, daß sie das Badezimmer mit andern teilen mußte. Der Gedanke, ihnen dort jeden Morgen zu begegnen, löste in ihr schon jetzt ein Gefühl der Panik aus. Sie nahm den Rock über den Arm, drehte vorsichtig den Schlüssel in der Tür, drückte die Klinke hinunter und lauschte hinaus. Aus dem Zimmer auf der andern Seite des Flurs klang eine Stimme: „Sollen wir morgen zusammen einkaufen gehen? — Welche Farbe würde wohl am besten hier hereinpassen? Hm, ich glaube schwarz und weiß gestreifte Vorhänge machen sich am besten. Und dann so ein imitierter Fellteppich — weiß natürlich! — auf den Fußboden, und..
Da sind zwei beieinander, dachte Penny. Wie absurd war es von ihr, den Flur als Feindesland zu betrachten, das Bad als einen Hinterhalt und ihren Weg dorthin als Spähtrupp. Sie ließ ihre Tür angelehnt, eilte auf den Zehenspitzen ins Badezimmer, drehte den Heißwasserhahn auf, rieb das Handtuch an der Seife und tupfte damit das Kleid ab. Als sie den Hahn wieder zudrehte, waren die Stimmen im andern Zimmer drüben besonders gut vernehmbar.
„Gute Nacht, Melanie“, sagte die eine, und die Bewohnerin von 3B grüßte zurück: „Bis morgen dann, Liz.“
Die beiden haben also bereits Freundschaft geschlossen, dachte Penny sehnsüchtig.
Die Badezimmertür wurde aufgestoßen, und das hübsche Mädchen von 3 B trat herein, zögerte beim Anblick Pennys und sagte dann kühl: „Guten Abend!“
Penny spürte, daß ihre Wangen brennendrot wurden. Sie griff nach ihrem Kleid, sagte hastig: „Guten Abend!“ und stürzte aus dem Raum. Ihre Verlegenheit trieb sie voran, und im Bewußtsein ihrer Unzulänglichkeit ließ sie ihre Schultern noch tiefer sinken. Als sie endlich in ihrem Zimmer angekommen war, blieb sie einen Augenblick mit dem Rücken zur verschlossenen Tür stehen und sog die beruhigende Atmosphäre der Dinge, die sie von daheim mitgebracht hatte, tief in sich ein. Der Spiegel auf der anderen Seite der Wand warf das Bild ihres blassen, schmalen Gesichts und der mageren, abfallenden Schultern zurück. Sie streckte die Zunge heraus und zuckte dann mit den Achseln. Was war schon dabei? Sie war eben mal wieder allein, und es gab eine Menge für sie zu tun. Sie schaltete ihr kleines Kofferradio an, holte ihren Atlas und die Zeitschriften samt einem dicken Notizheft unter dem Bett hervor, breitete die Landkarte aus und setzte sich mit allem auf den Fußboden. Sie hatte sofort die fremde Umgebung rings um sich her vergessen.
5. KAPITEL
Am
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