Maskerade
Penelope sie an, und in ihren Augen leuchtete es schüchtern auf. Liz steigerte sich siegesgewiß in einen Redeschwall hinein, um die Stille zu füllen. „Ich bin aus Massachusetts. Ich hatte bis vor etwa zwei Wochen keine Ahnung, daß ich herkommen würde, weil ich heiraten wollte — nun, und statt dessen sitze ich jetzt hier.“ Ich wirke wohl ziemlich lächerlich, dachte sie ärgerlich, aber zumindest überbrückte sie die Kluft. „Sonntags gibt es um fünf oder sechs in Haus Nummer Zwei Tee, habe ich gehört, aber bis dahin ist es noch lange. Weißt du, ob es um fünf oder sechs Uhr ist?“
„Um fünf“, erwiderte das Mädchen. Sie zeigte nun ein gewisses Interesse, blieb aber noch immer sehr still.
Liz nickte. Sie konnte sich ausmalen, wie Melanie vor Lachen brüllen würde, wenn sie Zeuge von Liz’ Annäherungsversuchen wäre, aber gerade das bestärkte sie nun in ihrem Entschluß. „Also, um fünf Uhr dann“, schloß sie und fügte impulsiv hinzu: „Wie wäre es, wenn wir zwei bis zum Tee zusammen ins Kino gingen? Das heißt, wenn du nicht schrecklich viel zu tun hast?“ Penelope seufzte, oder hatte sie bisher nur ihren Atem angehalten und ließ ihn nun plötzlich ausströmen? „Gut“, hauchte sie.
Liz war darüber so erfreut, daß sie sich im Moment nicht klar war, wer eigentlich die Gesellschaft nötiger hatte, sie oder Penelope. „Fein!“ rief sie herzlich, „hole deinen Mantel, dann können wir gleich losziehen. Ich warte auf dich.“
Penelope ging zu ihrem Wandschrank hinüber und angelte einen fahlbraunen Mantel daraus hervor, der genau die gleiche Farbe wie ihr Haar hatte. Er war ihr zu lang und viel zu weit, und sie wirkte darin verloren, unbedeutend und farblos. Die Handtasche war offensichtlich neu. Als sie sie öffnen wollte, ließ sie sie versehentlich fallen. Sie lief wieder glutrot an, bückte sich danach und stopfte Geldbörse und ein Taschentuch hinein. „Ich bin fertig“, sagte sie dann mit schwacher Stimme, und beim Verschließen der Tür sah Liz, daß ihre Hände zitterten. Liz war entsetzt. Mit welcher Geduld Penelope ihre hartnäckigen Belagerungsversuche durchstand! Wie sehr wünschte sie sich wohl, zurück in ihr Zimmer flüchten zu können, die Tür zuzuschlagen und wieder allein zu sein, und doch tat sie es nicht. Es kostete sie Kraft, und zwar so viel, daß ihre Hände zitterten.
Mit großer Wärme sagte Liz: „Mein Mantel ist gleich am andern Flurende. Geh nicht weg!“ Nie zuvor hatte sie geahnt, daß ihre Stimme so weich klingen konnte.
6. KAPITEL
Caras Freude über den ersten Tag in der Schule wurde durch eine kleine Begebenheit beeinträchtigt. Sie aß in der Kantine zu Mittag, und in der Nähe unterhielten sich andere Studentinnen so laut, daß es unmöglich war, den Inhalt des Gesprächs nicht zu verstehen.
„Kennst du die Negerin Clara Bailey“, rief ein Mädchen links von ihr einem andern zu, und Cara ließ erstaunt die Gabel sinken. Sie konnte nicht umhin, zuzuhören.
„Ach ja, die! Sie nahm Stoffmustertechnik, nicht wahr? Ist sie wieder da?“
„ Midge meint, sie kommt erst in einem Monat. Sie hatte einen Autounfall und brach sich das Bein.“
Eine mächtige Genugtuung wallte in Cara auf. Sie war also nicht die einzige Negerin in der Schule! Doch dann fiel ihr sogleich ein, daß sie sich ja nun als Weiße ausgab. Es war zu spät zu einem Fahnenwechsel. Ihre Stimmung sank schneller, als sie gestiegen war.
Neben ihr stellte eine Stimme mit barscher Rohheit fest: „Nun, zumindest ist das Prewitt-Heim noch sicher vor denen. Wir brauchen jedenfalls nicht mit Niggern zusammen zu wohnen.“
Caras Lippen wurden schmal. Sie spürte, daß sie sich niemals daran gewöhnen würde, als Nigger bezeichnet zu werden, nicht einmal, wenn sie hundert Jahre alt würde. Obgleich die Bemerkung nicht gegen sie gerichtet war, wagte sie nicht, das Mädchen anzusehen, das die häßlichen Worte geäußert hatte. Sie hielt ihre Augen auf den Teller gerichtet, während Scharlachrote ihre Wangen bedeckte.
Unwillkürlich rief das Gehörte die Erinnerung an jenen Nachmittag in ihr wach, an dem sie mit ihrem kleinen Bruder Benjie einen Spaziergang gemacht hatte. Benjie hatte sich an seinem fünften Geburtstag gewünscht, eine kleine Wanderung machen zu dürfen, wie seine Vettern auf dem Land es so oft taten. Cara liebte den kleinen Benjie leidenschaftlich. Sie war bereits zehn, als er zur Welt kam, und sie konnte sich nicht satt sehen an dem winzigen Kerl, an den
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