Maskerade
kleinen Fingerchen, die sich wie Rosenknospen zu Fäustchen ballten, an den geraden, kräftigen Beinchen, die niemals gingen, wenn sie rennen konnten; an den riesigen, runden, sanften braunen Augen, die samtig wie die Blütenblätter eines Stiefmütterchens leuchteten. Mit viel Wohlwollen und Lächeln hatte Cara ihm eine Decke als Rucksack um die Schultern gebunden und mit allerlei Gebäck gefüllt, und dann waren sie miteinander durch die Felder der nahen Stadt zu gewandert. In der Freude und dem Eifer aber hatte sie zwar an die Süßigkeiten gedacht, eine Thermosflasche mit Getränk hatte sie jedoch vergessen. Es war ein Tag gewesen, an dem der Himmel von der Hitze gebleicht war, und nicht das geringste Lüftchen hatte sich in den Pflanzungen der Baumwollplantagen geregt. Als sie endlich die ersten Häuser der Stadt erreichten, war Benjie dem Weinen nahe vor Durst und jammerte nach Wasser.
Cara hätte es wissen sollen, aber die Sorge um Benjie hatte sie dazu gebracht, entgegen aller Vernunft sich in einem schäbigen Drugstore , wo Eis und Limonade feilgeboten wurden, anzustellen und geduldig zu warten, bis der Verkäufer ihr Beachtung schenkte. Ob sie, bitte, nur ein Glas Wasser haben könnten, fragte sie schließlich und hoffte, er würde verstehen, daß Benjie erst fünf war und, da er in dieser glühenden Hitze so weit gelaufen war, seine Beinchen müde und seine Kehle trocken waren. Der Mann warf nur einen Blick auf die beiden.
„Sie wissen wohl, daß wir Farbigen nichts servieren“, sagte er. Er war dabei nicht einmal böse. Er stellte nur eine einfache Tatsache fest.
„Er ist mein Bruder“, hatte sie gestammelt, aber der Mann wiederholte nochmals mit Nachdruck:
„Nigger werden hier nicht bedient.“
„Hat er kein Wasser gehabt?“ fragte Benjie, als sie wieder auf dem glühend heißen Gehsteig draußen standen. „Cara, er hat kein Wasser gehabt?“
Sie zog ihn um die Ecke und sah, wie eine Träne über Benjies Wange rollte und er mit seiner kleinen Faust ganz geschwind darüber rieb. Sein Gesicht sah plötzlich müde und viel älter aus, als er war, und Cara sah zu ihm hinunter und erkannte: „Er beginnt bereits zu ahnen, was los ist.“ Sie kniete neben ihm und nahm seinen kleinen warmen Körper in ihre Arme und drückte ihn stumm an sich, denn es gab keine Worte, mit denen sie ihm hätte helfen können, das zu durchleben, was er nun einmal zu lernen hatte. So war Benjie mit seinem Durst tapfer bis nach Hause gelaufen, und er weigerte sich, noch immer zu glauben, daß der Mann Wasser gehabt hatte, denn wenn es so gewesen wäre, dann hätte er es ihm doch ganz bestimmt gegeben. Oder etwa nicht?
Manchmal mußte Cara denken, daß man sich all die schönen Reden sparen könnte und statt dessen mit Taten den Sinn der vielen wohlgemeinten Worte verständlich machen, diesen Sinn, der sich leicht in einem lächelnd angebotenen Glas Wasser symbolisieren ließe.
Als Cara nach der Schule nach Hause ging, holte Liz Gordon sie ein. „Mir hat es heute sehr gefallen“, rief sie begeistert. „Es war ein herrlicher erster Tag, findest du nicht auch?“
Cara nickte. Sie fühlte sich vom Unterricht sehr angeregt und hoffte, daß das Hawley-Institut ihr all das bieten werde, was sie sich von ihm versprach. Die Lehrer waren offensichtlich zufrieden mit ihr, denn sie hatten ihre Zeichnungen gelobt. Für Cara bedeutete eine solche Anerkennung einen besonderen Ansporn, denn da sie nicht wußte, wie lange sie in der Schule bleiben konnte, war sie eifrig bemüht, in diesem ersten Jahr soviel wie nur möglich über Farbe und Maltechnik zu lernen. Sie hatte keinen größeren Wunsch, als zu arbeiten.
„Ich kann kaum erwarten, bis wir wirklich etwas zu tun kriegen“, rief Liz kaum weniger tatendurstig, „wir haben heute nachmittag ausgiebig die Farbskala studiert, und dabei kam ich auf eine Kombination von leuchtendem Orange und gebrochenem Gelb. Mir kribbelt es ordentlich in den Fingern, damit etwas zu gestalten.“
Cara lächelte. Sie spürte, daß Liz von dergleichen ungestümen Begeisterung erfüllt war wie sie selbst.
„Du sagtest, daß du Modezeichnen studierst?“
„Ja, stimmt. Wir werden unsere eigenen Schnittmuster entwerfen, und bald kommt dann das Steckkleid mit gerafften Falten dran. Und natürlich die Geschichte der Mode! Ich habe ein uraltes Buch von Godey , das Mutter mir schicken soll. Herr Paliazzo möchte es gerne sehen. — Und was habt ihr heute getrieben?“
„Porträtstudien —
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