Maskerade
anhörte, aber sie war zu höflich dazu. Sie war der Meinung, daß nur Jahre, viele Jahre — Jahre ohne Peter — , den überwältigenden Schmerz abschwächen konnten, den sie mit sich herumtrug. Ihr war, als sei ihr sonst so freies, junges und heiteres Herz so lange zusammengepreßt worden, bis es sich zu Stein verhärtete, und diesen Stein sollte sie nun auf ewig schleppen. Es wäre nicht schrecklicher für sie gewesen, wenn Peter gestorben wäre. Vielleicht wäre der Schmerz anders gewesen, aber er hätte die gleiche innere Leere, die gleiche Verlassenheit und Verlorenheit gebracht.
„Da sind wir also“, unterbrach Marc Taussig ihre Grübelei. Er schwang seinen Koffer in den Gang. „Die blauen gehören Ihnen?“ vergewisserte er sich, ehe er sich tatkräftig ihrem Gepäck zuwandte.
„Ja!“ Sie stand auf und war erstaunt, daß sie so klein neben ihm war.
„Ja, die sind’s. Wo — wo haben Sie diese herrliche Sonnenbräune her?“ staunte sie und schaute ihm zum ersten Male voll ins Gesicht.
„Sommerlager“, gab er Auskunft. „Ich war die Ferien über der Häuptling von zwanzig wilden Indianern.“ Er lachte und reichte ihr die beiden kleineren Koffer zu. „Ich trage den großen. Vermutlich wollen Sie ein Taxi?“ erkundigte er sich sachlich und hilfsbereit.
„Ich denke schon.“ Sie drängte sich hinter ihm durch den Gang, dann auf den Bahnsteig und schließlich eine Rolltreppe hinauf.
„Taxis haufenweise“, stellte er bald beruhigt fest, als sie durch eine schwingende Glastüre hinaus in die grelle Sonne traten. Er winkte einem zu, und als es an den Bordstein rollte, warf er Liz’ Koffer auf den Rücksitz.
„Ich danke Ihnen tausendmal“, beteuerte sie und kletterte hinterher.
„Keine Ursache“, lachte er, und dann fügte er, ernst werdend, plötzlich hinzu: „Viel Glück! Beeilen Sie sich mit der Erholung! Ich werde nämlich wirklich anrufen.“
Er drehte sich um und war verschwunden, ehe sie etwas hatte antworten können. Sie war wieder allein. Rechts und links von ihr glitten, in der Hitze gleißend, weiße Gebäude vorüber und erinnerten sie daran, daß sie weit weg war von Bridgedale. Sie war jetzt in Philadelphia, und zum ersten Male rührte sich etwas wie Neugier in ihr. Was hielt diese Stadt wohl alles für sie bereit? Doch sofort überschattete wieder die Trauer ihre aufkeimende Freude, denn, was ihr auch bevorstand, Peter würde keinen Anteil daran haben.
„Zum Schülerinnenheim Prewitt-Haus“, rief sie nochmals dem Fahrer zu, und als sie sich in die Polster zurücklehnte, mußte sie unwillkürlich darüber nachdenken, was wohl Peter und Margaret Hewitt an diesem herrlichen Spätsommernachmittag im September tun mochten.
2. KAPITEL
Cara Jamison saß an ihrem Schreibtisch in Zimmer 5A, als ihre Nachbarin eintraf. Sie bemühte sich, der Unterhaltung zwischen der neuen Schülerin und der Hausmutter keine Aufmerksamkeit zu schenken, aber da die Wände dünn waren und sie zudem versehentlich die Türe offen gelassen hatte, war es unvermeidlich, daß sie hörte, was gesprochen wurde.
„Ist das aber ein kleines Zimmer!“ Die Worte wurden von einem kurzen Auflachen begleitet, das wohl die offensichtliche Enttäuschung überdecken sollte.
„Ja, es ist immer das letzte, das vergeben wird“, bestätigte Mrs. Coles verbindlich. „Früher war dies die Nähstube . Sie haben Glück, daß Sie es noch bekommen. Wir hatten drei weitere Anfragen, nachdem Ihr Vater es für Sie mietete.“
„Oh, ich beklage mich ja nicht!“ Wieder dieses hastige Lachen. „Darf ich fragen, wann zu Abend gegessen wird?“
„Um sechs Uhr. Und da es bereits beinahe fünf ist, lasse ich Sie jetzt allein“, sagte Mrs. Coles freundlich. „Das Badezimmer ist am andern Ende des Flures.“
„Ja, ja danke. Ich glaube, ich habe nach der langen Reise ein Bad recht nötig.“
„Aber bevor ich gehe“, fügte Mrs. Coles bestimmt hinzu, „möchte ich Sie Ihrer Zimmernachbarin Cara Jamison vorstellen. Sie werden hier auf dem Stockwerk zu viert sein, aber Sie und Cara sind zuerst angekommen.“
„Ich möchte sie sehr gerne kennenlernen“, hörte Cara die unbekannte Stimme sagen.
Cara wußte, daß sie nun zu ihr hereinkommen würden. Sie schluckte schwer, denn nun würde es also wieder losgehen: Jede ihrer Bewegungen und Äußerungen mußte sie strengstens prüfen, und in keinem Augenblick durfte ihre Schauspielerei unvollkommen sein. Sie verfolgte jeden der Schritte, die sich hämmernd auf dem Flur
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