Mass Effect 02 - Der Aufstieg
erinnere mich nur daran, dass Hendel mich angebrüllt hat.“
Das hatte Kahlee sich schon gedacht. Sie hatten Gillians Daten während ihrer Ohnmacht aus dem Smartchip ausgelesen und konnten sich keinen Reim darauf machen. Es gab einen plötzlichen Ausschlag bei ihren Alphawellenaktivitäten in den Tagen vor ihrem Ausbruch. Aber es gab keine logische Erklärung für den Anstieg. Kahlee konnte sich vorstellen, dass es ein emotionaler Auslöser gewesen sein konnte: Ihr Alphalevel war seit dem Besuch ihres Vaters angestiegen.
„Wieso ist Hendel nicht hier?“, fragte Gillian, ihre Stimme klang schuldbewusst.
Kahlee sagte ihr die halbe Wahrheit. „Er hat momentan viel zu tun.“
Als Sicherheitschef hatte er immer noch mit den Folgen dessen zu tun, was in der Cafeteria geschehen war. Sie hatten alles getan, um den Zwischenfall herunterzuspielen. An die Medien wurde eine Stellungnahme herausgegeben, Angestellte und Schüler wurden unterrichtet und die Eltern verständigt. Als weitere Vorsichtsmaßnahme war die Grissom-Akademie vollständig von der Außenwelt abgeschirmt worden. Aber Kahlee wusste, dass es nicht nur die Arbeit war, die ihn von hier fernhielt. Es konnte sich dabei um Verärgerung, Enttäuschung oder sogar Schuldgefühle handeln … vielleicht eine Mischung aus allen dreien. Doch sie würde nicht versuchen, das einer Zwölfjährigen zu erklären.
„Wann besucht er mich denn?“
„Bald“, versprach Kahlee. „Ich sage ihm, dass du auf ihn wartest.“
Gillian lächelte. „Sie mögen Hendel.“
„Er ist ein guter Freund.“
Das Lächeln des Mädchens wurde strahlender. „Heiraten Sie beide irgendwann?“
Kahlee lachte laut auf. „Ich glaube nicht, dass Hendel heiraten will.“
Gillians Lächeln wurde kleiner, verschwand aber nicht vollständig. „Er sollte Sie heiraten“, stellte sie nüchtern fest. „Sie sind nett.“
Dies war nicht der Zeitpunkt ihr zu erklären, warum das nie geschehen würde. Deshalb entschloss sich Kahlee, das Thema zu wechseln.
„Du musst noch ein paar Tage in diesem Zimmer bleiben, Gillian. Verstehst du?“
Dieses Mal verschwand das Lächeln völlig, und sie nickte. „Ich möchte jetzt schlafen.“
„In Ordnung“, sagte Kahlee. „Ich bin vielleicht nicht hier, wenn du aufwachst. Aber wenn du irgendetwas brauchst, drück auf den roten Knopf dort drüben. Dann kommt eine Schwester.“
Das Mädchen schaute zum Rufknopf, der neben ihrem Bett hing und nickte erneut. Dann legte es sich wieder hin und schloss die Augen.
Kahlee wartete, bis Gillian eingeschlafen war, bevor sie aufstand und sie allein zurückließ.
10. Kapitel
Kahlee blieb am Tisch in ihrem Zimmer sitzen und ignorierte das Klopfen an der Tür. Sie schaute weiter auf den Computerbildschirm und versuchte, einen Sinn in die Zahlen zu bekommen, die sie aus Gillians Implantaten gewonnen hatten. Was in der Cafeteria geschehen war, würde Folgen haben. Während der nächsten paar Tage würden die Leute Antworten verlangen. Sie erwarteten, dass Kahlee ihnen erklärte, was passiert war und warum niemand es hatte kommen sehen. Bislang hatte sie keine hinreichende Erklärung gefunden.
Es klopfte erneut, intensiver.
„Tür … auf", sagte sie, aber sie stand nicht auf.
Sie rechnete damit, Hendel zu sehen, doch es war Jiro. Er trug Freizeitkleidung. Ein blaues, langärmliges Hemd und schwarze Hosen. Er hielt eine Flasche Wein und einen Korkenzieher in einer Hand und zwei langstielige Gläser in der anderen.
„Ich habe gehört, dass du einen harten Tag hattest“, sagte er. „Da dachte ich mir, du könntest vielleicht ein Glas Wein vertragen.“
Sie wollte ihm schon sagen, er möge später wiederkommen, aber in letzter Sekunde nickte sie. Er trat ein und schwenkte die Flasche vor dem Zugangspanel, damit die Tür hinter ihm zuglitt. Dann stellte er die Gläser auf den Tisch und öffnete die Flasche mit dem Korkenzieher.
„Weißt du schon, was passiert ist?“, fragte er, als der Korken mit einem leisen, aber hörbaren Plopp herauskam. Seine Frage war nur ein Vorgeschmack auf die endlosen Befragungen, die noch anstanden.
„Ich möchte jetzt wirklich nicht über die Arbeit sprechen“, antwortete sie, stand auf und durchquerte den Raum, während er die Gläser einschenkte.
„Wie Ihr wollt, Madame“, sagte er mit einem Zwinkern und gab ihr ein Glas.
Sie nahm einen kleinen Schluck und genoss das Bouquet des Weines. Er wirkte fruchtig, obwohl er eher erdig denn süß war.
„Der ist gut“,
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