Mass Effect 02 - Der Aufstieg
dachte. Sie sorgte sich natürlich um Gillian. Aber die Wissenschaftlerin in ihr versuchte herauszufinden, was das für ihre Forschung bedeuten konnte.
Deshalb schwand der finstere Blick, und sie nahm noch einen Schluck, bevor sie sich auf Jiros nackte Brust legte. Sie konnte ihm nicht böse sein, nur weil er ehrlich gewesen war. Er liebte seine Arbeit, war noch jung und impulsiv. Die Mitglieder des Direktoriums waren allerdings älter und weiser.
„Werde nur nicht zu enthusiastisch“, warnte sie ihn. „Nach all dem entscheidet das Direktorium vielleicht, dass es zu gefährlich ist, sie im Programm zu behalten.“
„Du lässt nicht zu, dass sie rausgeschmissen wird, oder? Nicht jetzt, da sie endlich Fortschritte zeigt!“
„Gillian ist nicht die einzige Schülerin im Ascension-Projekt. Dieses Mal hatten wir Glück, aber ein weiterer Ausbruch und jemand könnte ernstlich verletzt werden – oder gar getötet.“
„Deshalb müssen wir sie ja hier behalten“, meinte Jiro. „Wo sonst bekommt sie die Hilfe, die sie braucht? Wer sonst könnte ihr beibringen, mit ihren Kräften umzugehen?“
„Ihr Vater kann es sich leisten, einen privaten Biotiklehrer zu engagieren“, konterte sie.
„Wir beide wissen, dass das nicht dasselbe ist“, antwortete er, seine Stimme wurde lauter. „Der hätte doch nicht den gleichen Zugriff auf das Personal und die notwendigen Ressourcen wie wir.“
„Du musst nicht mich davon überzeugen“, sagte sie, ihre Stimme wurde ebenfalls lauter. „Ich werde diese Entscheidung nicht treffen. Aber ihr Vater.“
„Grayson wird sie im Programm lassen wollen“, antwortete er. „Vielleicht könnte er noch etwas spenden, um den Vorstand zu überzeugen, dass sie bleibt.“
„Hierbei geht es um mehr als Geld.“
„Du kannst mit dem Vorstand reden“, fuhr er fort. „Sag ihnen, dass das Ascension-Projekt Gillian braucht. Ihre Daten übertreffen die jedes anderen Kindes, als gehöre sie zu einer anderen Spezies. Wir müssen sie untersuchen. Wenn wir die Quelle ihrer Macht entdecken, könnten wir die menschliche Biotik so weit voranbringen, wie wir es uns bislang nicht vorzustellen vermochten!“
Kahlee antwortete nicht sofort. Auf eine Art hatte er recht. Aber Gillian war mehr als ein Testobjekt. Sie hatte eine Identität weit jenseits der reinen Daten. Sie war ein Mensch, ein junges Mädchen mit einer Entwicklungsstörung. Kahlee war nicht davon überzeugt, dass Gillian im Programm zu behalten auf lange Sicht das Beste für sie war.
„Ich rede mit dem Vorstand“, versprach sie schließlich und wählte ihre Worte mit Bedacht. „Aber ich kann nicht versprechen, welche Empfehlung ich aussprechen werde. Und vielleicht hören sie gar nicht auf mich.“
„Du könntest auch noch deinen Vater mit ihnen reden lassen“, sagte er mit einem schiefen Grinsen. „Ich glaube, auf ihn würden sie hören. Immerhin ist die Schule nach ihm benannt.“
„Ich werde meinen Vater nicht in diese Sache mit hineinziehen“, sagte sie mit kalter Entschlossenheit.
Mehrere Minuten saßen sie schweigend zusammen. Dann begann Jiro das Gespräch erneut, nicht gewillt, das Thema Gillian zu beenden.
„Ich habe gehört, dass man sie in Quarantäne hält.“
„Nur für ein paar Tage. Hendel dachte, es wäre sicherer, bevor er alles andere geklärt hat.“
Es gab wieder eine längere Stille, die Jiro brach, als er sagte: „Sie hat vielleicht Angst. Ich würde sie gern sehen.“
Das war die andere Seite von Jiro: der mitfühlende junge Mann, der sich mehr um die Gefühle eines zwölfjährigen Mädchens sorgte als um seine Forschung. Kahlee rollte zu ihm hinüber und küsste ihn auf die nackte Brust.
„Das würde ihr gefallen. Du kannst morgen zu ihr. Ich sorge dafür, dass du eine Genehmigung bekommst.“
Als Kahlee am nächsten Morgen erwachte, pochte ihr Schädel von den Nachwirkungen des Weins. Jiro war fort, und sie stellte entsetzt fest, dass sie eine volle Stunde verschlafen hatte.
Du weißt, dass du alt wirst, wenn dich eine halbe Flasche Wein den Wecker überhören lässt, dachte sie und erhob sich langsam.
Erst dann fand sie die Nachricht auf dem Tisch, halb unter der leeren Flasche. Sie presste die Fingerspitzen an ihre pochenden Schläfen, während sie den Zettel las.
Ich bin zu Gillian gegangen. Habe den Wecker ausgeschaltet. Dachte, du könntest den Schlaf brauchen. J.
Sie zerknüllte die Nachricht und schmiss sie auf dem Weg ins Bad in den Recycling-Eimer.
Als sie geduscht und
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