Mata Hari
müssen ... Aber die Ränke dieser Frau haben so furchtbares Unheil angerichtet, daß, wäre es möglich, ich sie lieber zweimal statt einmal füsilieren ließe.
Semprou, ein wenig bleich, befiehlt dem Regimentsschreiber, der Angeklagten das Urteil vorzulesen. Die Wache präsentiert das Gewehr und die ernste Schlußszene beginnt:
– Im Namen des französischen Volkes ...
Bricht Mata Hari zusammen? Rafft sie sich zu einem Protest auf? Will sie noch einmal ihre Unschuld hinausschreien? ... Nein. Über die eingefallenen Wangen ihres Verteidigers rollen zwei große Tränen. Sie dagegen lächelt, ganz still, ruhig, heiter, fast gleichgültig, als handle es sich um etwas Unbedeutendes, das auch nicht ein einziges Wort der Erklärung verdiene.
Der Gendarm in der dunklen Ecke murmelt:
– Die kann sterben.
Gefängnis und Tod
Mata Haris Haus in Neuilly
Darf ich sagen, ich habe sie ganz genau gekannt? Jedenfalls bin ich wohl der einzige gewesen, der in den schmerzlichsten Tagen ihres Leidensweges in die Gefängniszelle etwas brachte, das zu ihrem Leben und ihrer Jugend Beziehungen hatte, etwas, das frei war von feierlichem Ernst und Drohung, nicht dazu angetan, ihr Mißtrauen zu erregen. Mein beruflicher Dienst beschränkte sich auf das geringste. Sie war gesund und kräftig. Wonach sie sich am meisten sehnte, frische Luft, parfümiertes Badewasser, lange Spaziergänge, das konnte ich ihr nicht verschaffen. Also bat sie mich eigentlich nur hin und wieder um Beruhigungsmittel für ihre Nerven und um Schlafpulver. Ein einziges Mal, am Rande des Grabes, begehrte sie ein Glas Alkohol. Vorher, während ihrer endlos langen Haft, hat sie keinen jener Wünsche geäußert, die im allgemeinen die Gefangenen quälen. Wenigstens nicht in meiner Gegenwart. Stolz von Natur und aus Gewohnheit, als echte Aristokratin des Nordens, mit Gefühl für Rang und ausgeprägtem Kastengeist litt sie schwer unter der Gesellschaft der anderen Inhaftierten, mit denen sie laut Vorschrift in einem Saal schlafen mußte, aber schließlich fügte sie sich auch darein.
So äußert sich Dr. Bralez, Gefängnisarzt in Saint-Lazare. Er kam täglich mit Mata Hari zusammen während der acht Monate, die die berühmte Tänzerin in diesem Gefängnis zubringen mußte.
– Ich war – fügte er hinzu – damals nur der Assistenzarzt des Direktors Dr. Bizard. Aber vielleicht gerade deshalb sprach diese Frau mit mir unbefangener als mit den anderen, und sehr oft nötigte sie mich, nach dem regelmäßigen Besuch noch ein paar Augenblicke bei ihr zu bleiben. Ich weiß nicht, war es aus Mißtrauen, war es aus Überzeugung, jedenfalls verfiel sie nie darauf, einem jungen Assistenzarzt ihr Herz auszuschütten, von den Verbrechen, deren man sie anklagte, zu sprechen. Ich weiß nichts von ihrem Prozeß, was nicht auch alle Welt wußte. Wollte man mich fragen: Halten Sie sie für schuldig?, müßte ich antworten: Ja, obgleich es mir schwer fällt, daran zu glauben. Denn es erscheint durchaus unlogisch, daß eine so veranlagte Frau, mit diesem Stolz, dieser Phantasie, Liebe zur Kunst, Schönheit, Kultur, Geldverachtung so tief herunter gestiegen wäre, leichtsinnige Flieger zu verführen, um von ihren mit Küssen berauschten Lippen die Geheimnisse unserer militärischen Operationen zu erhaschen. Immerhin nahmen die Verhandlungen vor dem Kriegsgericht für sie und ihre Verteidigung einen höchst unheilvollen Verlauf. Daran ist nichts mehr zu ändern. Ich erinnere mich meines Besuches bei ihr an dem Tage, wo ihr das Urteil zugestellt wurde. Glauben Sie mir, ihre Ruhe, Kaltblütigkeit, Gleichgültigkeit verblüfften mich. Wäre ich der Geistliche gewesen, hätte ich ihr den Trost des Glaubens vermittelt. Als Arzt war ich gezwungen, absolute Zurückhaltung zu beobachten; also fragte ich sie nur nach ihrer Gesundheit und entfernte mich aus der Zelle. Ich wagte nicht einmal ihr ein paar Veronaltabletten für eventuelle Schlaflosigkeit zu verordnen. Zwei Tage später bemerkte ich, daß sie deren tatsächlich nicht nötig gehabt hätte, denn sie verbrachte völlig ruhige Nächte ohne die geringste Beeinflussung durch die grauenhafte nahe Lösung der Tragödie. Ihr Prozeß war am 24. Juni zu Ende. Am 27. etwa um 10 Uhr vormittags, erschien eine Gefängnisnonne mit geheimnisvoller Miene und flüsterte mir ins Ohr, Madame Mata bäte um den Besuch des Doktors. »Des Doktors Bizard, nicht wahr?« fragte ich. »Nein, sie wünscht den jungen Doktor zu sehen,« betonte die
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