Mata Hari
unbedingtesten Intimität, bei unseren langen Unterhaltungen, ihm eine einzige, den Krieg berührende Frage vorgelegt habe.
Der Zeuge, damals noch französischer Botschafter am königlichen Hofe eines verbündeten Landes, oder gar erst jüngst dazu ernannt, antwortet ergriffen:
– Niemals, aber auch niemals! –
– Es ist sehr unwahrscheinlich, unterbricht ihn der Ankläger, daß zwei Menschen drei Tage zusammen verbringen konnten, ohne davon zu sprechen, was uns wie ein Alp bedrückt.
– Es ist vielleicht unwahrscheinlich, aber es ist wahr, antwortet der Zeuge. Und da niemand das bezweifeln kann, fügt er hinzu:
– Wir sprachen über Kunst, über orientalische Kunst.
– Da sehen Sie es! ruft der Verteidiger zum erstenmal mit hocherhobener Stimme, da sehen Sie es, diese Frau verbringt drei Tage mit einem unserer führenden Staatsmänner und spricht mit ihm nicht ein Wort darüber, was unsere Feinde am meisten interessieren kann.
Kaltblütig und unversöhnlich erwidert Mornay:
– Die Angeklagte ist intelligent genug, zu wissen, daß man einem erfahrenen Diplomaten nicht ebenso leicht Geheimnisse entlockt, wie liebestrunkenen jungen Offizieren, die unfähig sind, einer berühmten Künstlerin zu mißtrauen. Trotzdem verfehlt sie nicht den Einfluß des hochgestellten Mannes, der zarte Beziehungen zu ihr unterhält, auszunützen. Man hat gesagt, vielleicht trifft es zu, daß einige der von Mata Hari an ihre Freunde in Madrid und Amsterdam geschickten Berichte auf Briefbogen mit amtlichem Kopf, wie sie das Ministerium des Äußeren verwendet, geschrieben waren. Dadurch versuchte sie vor allem denen, die sie bezahlten, beizubringen, sie verfüge über Beziehungen, die es ihr leicht machten, in die Staatsgeheimnisse einzudringen. Durch ihr für andere Spione sichtbares Erscheinen in Gesellschaft des berühmten Botschafters, der hier vor uns steht, schmückte sie sich mit einem Nimbus, der ihr erlaubte, höchst sicher und anspruchsvoll aufzutreten.
Bei diesen Worten wird der Zeuge fahl und schweigt. Des Regierungsbevollmächtigten Hypothesen erscheinen ihm zweifellos annehmbar. Aber als man ihn fragt, ob er nichts hinzuzufügen hätte, wiederholt er als echter Gentleman:
– Die gute Meinung, die ich von dieser Dame hatte, ist durch das Gesagte keineswegs beeinträchtigt worden.
Er verneigt sich vor der Tänzerin und zieht sich zurück, ebenso ernst wie er eingetreten war.
Unter den geladenen Zeugen befand sich auch ein ehemaliger Kriegsminister; aber da die Front ihn brauchte, konnte er dem Ruf derjenigen, die nach seinen Briefen die tiefste Liebe seines Lebens war, nicht entsprechen. Der Präsident nimmt zur Kenntnis, daß dieser Zeuge dem mit seiner Vernehmung beauftragten Beamten erklärt habe, die Angeklagte hätte nie mit ihm über den Krieg gesprochen, auch keine Fragen an ihn gestellt, die ihm hätten verdächtig erscheinen können.
– Wer aber, fragt der Ankläger, hielt Sie damals auf dem Laufenden über die Vorbereitungen zur Offensive von 1916?
– Niemand.
– Wie? Sie leugnen, diese Vorbereitungen gekannt zu haben?
– Ich gestehe, daß ich, während ich in der Kampfzone weilte, um Hauptmann Marow zu pflegen, die Vorbereitungen einer großen Offensive witterte. Verschiedene befreundete Offiziere deuteten mir das an; aber bedenken Sie doch, wenn ich solche Nachrichten den Deutschen hätte zukommen lassen wollen, das wäre mir ganz unmöglich gewesen.
– Dennoch ist es erwiesen, daß Sie fortgesetzt mit Amsterdam korrespondierten. Ihre Briefe nahm die Gesandtschaft eines neutralen Landes in Empfang; diese leitete sie weiter im Glauben, sie wären für Ihre Tochter bestimmt gewesen.
– Ich schrieb, das ist wahr, aber ich schickte keine Mitteilungen über den Krieg.
– Jedenfalls schrieben Sie damals auch dem gefürchteten Leiter der deutschen Spionage in Holland. Wir wissen das ganz genau und wir wissen auch, daß Ihre Briefe mit H. 21 unterzeichnet waren.
– Nein, das ist nicht wahr.
– Verzeihung, das ist wahr; und den Beweis dafür liefert das Telegramm des Madrider Agenten an seinen Kollegen in Amsterdam; er erbittet darin für Sie fünfzehntausend Goldmark und sagt, diese Summe wäre zu befördern an H.21.
Wie immer, wenn Fragen sie verwirren, schweigt Mata Hari und gerät in Wallung. Ihre zu Anfang dieses letzten Verhörs gute Laune ist hin. Es ist den Zeugen nicht gelungen, Mornay zahm zu machen und Semprou zu überzeugen. Nun ist die Reihe am Verteidiger, nun muß er
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