Mata Hari
Richtern herausfordernde Blicke zugeschleudert hat, klappt sie plötzlich ohne ersichtlichen Grund zusammen und ist einer Ohnmacht nahe. Wenn ihr Verteidiger sie mit den Augen eines treuen, aber ohnmächtigen Freundes ansieht, als wolle er sie bitten, seinen Mangel an Einfluß zu verzeihen, antwortet sie ihm mit Achselzucken und bitterböser Schmollmiene. An die Gendarmen, die sie überwachen, dagegen verschwendet sie liebenswürdige Worte und verführende Blicke. »Alles an ihr«, sagt ein Zeuge des Prozesses, »ist ein Geheimnis«. Tatsächlich bleibt alles, oder fast alles, unerklärlich in ihrem Charakter, ihrem Leben, ihren Affekten, ihren Gesten, ihren Gefühlen und selbst in ihren Worten. Ihre Intimen versichern, daß sie geläufig fünf oder sechs Sprachen gesprochen habe. Nichtsdestoweniger gelang es ihr in keiner jemals sich ganz deutlich auszudrücken. Ihre Reden sind wie ihre Tänze, gewunden und schlangenartig. Der Maler Frantz Namur, der sie viele Jahre lang besuchte, versichert, sie wäre die schwermütigste Frau, die er je gesehen. »Wer dürfte sich schmeicheln, daß es ihm gelungen sei, aus ihr klug zu werden?« sagt er. »Ich malte zwei Porträts von ihr, eins in Straßentoilette – ich weiß nicht, was daraus geworden ist –, das andere als Tänzerin mit einem indischen Diadem und einem Smaragden- und Topasenhalsband. Sie kam tatsächlich oft ... Was auffiel und in Erstaunen setzte bei dieser vom Glück verhätschelten Frau, der das Schicksal alles gegeben hatte: Reize, Talent, Berühmtheit, das war eine tief innerliche und bleierne Schwermut. Gern setzte sie sich in einen Sessel und grübelte dort in abgespannter Haltung eine Stunde lang über geheime Dinge. Ich könnte mich nicht darauf besinnen, daß Mata Hari jemals gelächelt hätte ... Sie war abergläubisch wie eine Hindu. Eines Tages, als sie sich entkleidete, glitt ein Jadearmband von ihrer Hand: ›– Oh!‹ schrie sie ganz bleich, ›das wird mir Unglück bringen ... Sie werden sehen, das bedeutet ein Unglück für mich ... Behalten Sie diesen Reif, ich will ihn nicht mehr sehen ...‹ Andere haben eine minder schwermütige, minder düstere, mehr mondäne Erinnerung an sie. Wieder andere, die sie nur bei ihren nächtlichen Festen sahen, malen sie uns mit den Farben eines überspannten Enthusiasmus. Worüber jedoch alle einig sind, das ist ihr geheimnisvoller, plötzlicher und wechselnder Charakter.«
Und die Zeugen? Schon bei den ersten Verhören kündigte der Verteidiger sie an. Er habe Personen vorladen lassen, deren Aussagen im Stande sein würden, das ganze Dunkel des Prozesses zu erhellen. Als die Tänzerin erfährt, daß von ihren Freunden die berühmtesten als Zeugen erscheinen werden, kann sie ihre Freude kaum bändigen. Kokett und katzenartig legt sie mit Wonne die leuchtende Pracht des Karminstifts sich auf die Lippen. Eine Blume, Sendung eines anonymen Bewunderers, mildert die Strenge ihres blauen Kostüms. Jetzt weist sie auch nicht mehr wie früher die Bonbons zurück, die der Verteidiger ihr anbietet, im Gegenteil, sie zerknabbert sie mit kindlichem Behagen. Jetzt richtet sie ihr Lächeln nicht mehr nur auf die Gendarmen; sie läßt es auch auf die Richter hinübergleiten; selbst in Mornay, den sie bisher für einen Torquemada gehalten, scheint sie plötzlich einen neuen Freund zu sehen.
Und Massard zischelt:
– Komödianterei!
Komödianterei? Warum? Warum sollte es an dieser Frau nicht etwas Aufrichtiges, etwas Ursprüngliches geben? Ich wenigstens auf der unablässigen Suche nach einem Lichtreflex in der Seele der Schuldigen, und wäre er noch so schwach, ich frage mich noch einmal, ob wir nicht doch irgendeinem Vorgang beiwohnen könnten, der uns ihre Unschuld enthüllt.
– Lassen Sie den ersten Entlastungszeugen eintreten, befiehlt der Oberst.
Ein Herr von distinguiertem Äußeren nähert sich der Schranke.
– Warum haben Sie diesen Zeugen vorladen lassen? fragt der Ankläger.
Sie, sanft, lächelnd, ruhig, antwortet:
– Der Zeuge bekleidet, wie Sie alle wissen, bei der französischen Regierung eine sehr hohe Stellung. Er ist auf dem Laufenden über das, was im Ministerrat verhandelt und auf dem Schlachtfeld vorbereitet wird. Also! Ich traf ihn nach meiner Rückkehr aus Madrid hier, ohne ihn zu suchen. Er war mein erster Geliebter nach meiner Scheidung gewesen, und es war sehr natürlich, daß ich ihn mit Vergnügen wiedersah. Wir verbrachten miteinander drei Tage. Er möge Ihnen sagen, ob ich in der
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