Mata Hari
versuchen, die Angeklagte zu retten. Er bittet, man möge die Verhandlungen als abgeschlossen betrachten und ihm das Wort erteilen. Und nun spricht er stundenlang mit Glaubwürdigkeit, mit Wärme, mit Überzeugung. Seine Rede hat die Bedeutung, die ihm seit zwanzig Jahren nachgerühmt wird. Seine vornehme Miene macht Eindruck auf die militärischen Richter, die lautlos, respektvoll ihn anhören. Selbst der Ankläger wagt nicht zu lächeln über das, was ein Journalist von Ruf die Herzensreine eines verliebten Greises genannt hat.
Und was sagt der berühmte Rechtsgelehrte? Sein Plädoyer ist niemals veröffentlicht, aber eifrig diskutiert worden. Wenn ich diesen Äußerungen glaube, dann ist es eine höchst scharfe und peinlich genaue Studie gewesen über die komplizierte, verantwortungslose, rätselhafte Seele dieser Frau, die zugibt, eine käufliche Kurtisane zu sein, aber die Anklage der Spionage gegen Frankreich zurückweist. »Alle diese stürmischen Impulse zeugen von einem chaotischen Seelenleben. Es ist unmöglich, einer so veränderlichen, zappelnden, unruhigen, immer zu extremen Entschlüssen bereiten Natur unbedingtes Vertrauen zu schenken. Der Zaum des Geistes genügt nicht, dieses Temperament zu zügeln, das durchgeht, Hindernisse gar nicht abschätzt, sich blind der Laune des Schicksals überläßt. Nichts kann sie hindern, dem Lauf ihrer Leidenschaften zu folgen. Und inmitten eines so hemmungslosen Lebens erscheint sie immer als Herrin ihrer selbst. Ihre Intelligenz steht außer Zweifel. Sie hat nichts Plebejisches, nur Sinn für das Feine, Harmonische. Sie hat Schönheitsgefühl, Verständnis für die Kunst und geistige Dinge. Und sie ist verführerisch aus Instinkt, aus Bedürfnis, aus Trieb. Sie ist unvergleichlich kompliziert. Ganz offen gefällt sie sich darin, ihre Freunde zu belügen. Ihre Lebensenergie ist erstaunlich und ihr Ungestüm derart, daß sie selbst davor erschrickt« – Durch eine derartige Psychoanalyse will der Verteidiger natürlich nichts anderes, als den Mitgliedern des Kriegsgerichts eindringlich zu Gemüte führen, eine so veranlagte Frau könne nicht wie ein Soldat abgeurteilt werden. Was bei einem normalen Menschen das deutliche Zeichen eines Vergehens wäre, ist bei ihr nur der Reflex ihrer Grillen in einer durch den Weltorkan überhitzten Atmosphäre. Vieles, was sie selbst erzählt von ihrem Leben, ihren Lastern, ihrer Käuflichkeit, ihren Intrigen, ihrer magnetischen Kraft erscheint unwahrscheinlich. Jedoch alles kann wahr sein. Aus krankhafter Eitelkeit, ungesunder Neugierde, unergründlichen Gefühlsregungen hat sie sich die deutschen Spionageleiter erobert. Dann hat sie die französischen Offiziere, die in ihren Bannkreis kamen, verführt. Dieses Spiel der Haßgewalten, die in ihrem Bett sich kreuzen und auf ihren Lippen sich mischen, verschafft ihr eine gleichzeitig diabolische und kindliche Freude.
Ob wohl Clunet sich so bemüht hat, Mata Hari zu retten? Jedenfalls vermag seine lange Rede bei aller Feinheit und überströmenden Kraft die Richter nicht zu überzeugen. Die Angeklagte selbst muß das offenbar fühlen, denn nach Beendigung des Plädoyers erhebt sie sich zu einer letzten Erklärung, worin sie noch einmal feierlich ihre Unschuld bekennt:
– Beachten Sie wohl, sagt sie, daß ich nicht Französin bin und für mich das Recht in Anspruch nehme, meine Beziehungen zu pflegen, gleichviel wo und wie es mir beliebt. Der Krieg ist kein genügender Grund, daß ich aufhöre, mich als Kosmopolitin zu fühlen. Ich bin neutral und meine Sympathien neigen zu Frankreich. Wenn Ihnen das nicht genügt, machen Sie, was Sie wollen.
Das Verhör wird aufgehoben. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück. Nach zehn Minuten ist das Urteil einmütig gefällt. Meinungsverschiedenheiten über den Kern der Sache, die Einzelheiten, die Anwendung des Gesetzes bestanden nicht. Der Präsident hat jedes Mitglied des Tribunals gefragt; er begann damit bei dem im militärischen Range niedrigsten:
– Ich frage Sie auf Pflicht und Gewissen, sind Sie überzeugt, daß diese Frau schuldig ist, dem Feinde Nachrichten und Dokumente vermittelt und so den Tod vieler unserer Soldaten verursacht zu haben?
Ohne zu zögern, sehr ruhig, haben alle Offiziere geantwortet:
– Ja.
Einer der Richter, ein Major, spricht nach Unterzeichnung des Urteils sehr laut folgende Worte:
– Es ist schrecklich ein so junges, bezauberndes Geschöpf mit einer so großen Intelligenz zum Tode verurteilen zu
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