Mathe ist doof

Leute, die sich nicht vorstellen können, dass man mit der Mathematik überhaupt Schwierigkeiten haben kann (so wie der französische Mathematiker Jules Henry Poincaré, von dem der Ausspruch überliefert ist: „Ich verstehe nicht, dass man die Mathematik nicht versteht!“). Es ist ein Buch für alle, die neu gierig sind, was das Lernen im A llgemeinen un d das Lernen von Mathematik im B esonderen betrifft.

3.             Zur Entlastung der üblichen Verdächtigen
     
    Verdächtiger Nummer 1: Die Schule.
     
    Die Schule ist an allem schuld, und dort in erster Linie die Lehrer?
    Natürlich gibt es sehr guten und sehr schlechten Mathematik unter richt – nur „produziert“ der Unterricht nicht zwangsweise sehr gute oder sehr schlechte Mathematikschüler. Manche lernen trotz mise rablen Unterrichts sehr viel, manche lernen trotz guten Unter richts sehr wenig. Das ist ein bisschen so wie mit den Zimmerpflan zen: manche verkümmern trotz intensiver Pflege und manche ge deihen, obwohl man sich kaum um sie bemüht. Auch wenn die Wahrschein lichkeit, schöne Pflanzen zu erhalten, mit zunehmender Pflege steigt, wird es keine Garantien dafür geben.
    Der Mathematikunterricht ist häufig besser als sein Ruf, manchmal wesentlich schlechter, taugt aber kaum als Erklärung dafür, weshalb sich viele mit der Mathematik so schwer tun.
    Um Mathematik zu verstehen, muss man sie nämlich nicht gut „er klärt bekommen“, sondern sie sich selbst erarbeiten und für sich klä ren. Dazu kann der Unterricht wirksame Hilfestellung geben oder diese versagen – nicht mehr und nicht weniger. Dieses Buch hält einige Hinweise parat, wie solche wirksamen Hilfen aussehen kön nen und wie wirkungslos manche vermeintlichen „Erfolgsrezepte“ sein können, es verspricht aber an keiner Stelle „wenn man es so und so macht, dann funktioniert es!“. Ein guter Mathematiker ist nicht automatisch ein guter Mathematiklehrer (auch wenn die Ausbildung der Gymnasiallehrer in Deutschland von diesem Grundsatz bestimmt zu sein scheint), und ein guter Pädagoge muss über Mathematik Be scheid wissen, um in der Grundschule Mathematik unterrichten zu können (auch wenn in der Ausbildung vieler Grundschullehrer in Deutschland Mathematik kaum eine Rolle spielt). Trotzdem wäre die Schuldzuweisung an die Schule ein echter Kurz-Schluss, der einer so komplexen Problematik in keinerlei Hinsicht gerecht würde.

Verdächtiger Nummer 2: Die eigene Begabung
     
    „Ich kann das einfach nicht!“
    „Für Mathe muss man eben besonders begabt sein!“
    Für Mathematik muss man nur insofern begabt sein, dass man einen wachen Geist besitzt. Eine Qualle ist wahrscheinlich tatsächlich zu unbegabt, um Mathematik betreiben zu können. Wir Menschen hin gegen verfügen über ein so wunderbares Organ wie das Gehirn, das es uns z. B. ermöglicht, in der Kälte der Polarregionen genau so zu überleben wie in der tropischen Hitze, obwohl wir körperlich für ein Leben in der einen Umwelt genau so wenig geeignet sind wie in der anderen. Ein Organ, das uns ermöglicht, unsere eher bescheidenen Voraussetzungen zur Lautartikulation so differenziert zu nutzen, dass wir damit in einer unglaublichen Komplexität miteinander kommu nizieren können. Ein Organ, das Muster und Strukturen wesentlich schneller identifizieren kann, als selbst teuerste Hoch lei s tungsrechner das können. Ein Organ, das sich in stetiger Wechselwirkung mit der Umwelt verändert und ausdifferenziert – und für das die Mathematik eine der leichtesten Übungen darstellt. So fern Sie also über ein Ge hirn verfügen, sind Sie ausreichend für die Mathematik begabt.
    Dennoch kann ja die erste Aussage durchaus zutreffen: Ich kann das einfach nicht! Wenn ich in Russland geboren worden wäre, hätte ich sicher Russisch gelernt. Doch leider kann ich fast kein einziges russi sches Wort. Das liegt nun aber weder daran, dass ich grundsätzlich nicht in der Lage bin, diese Sprache zu erlernen, noch daran, dass Russisch generell nicht zu lernen wäre. Ich kann kein Russisch, weil ich bisher noch keine Anstrengungen unternommen habe, diesen Zustand zu ändern. Natürlich gibt es Menschen, die leichter eine Fremdsprache lernen als andere Menschen, aber so fern keine schwe ren geistigen oder sonstigen Störungen vorliegen, ist jeder Mensch grundsätzlich in der Lage, eine neue Sprache zu lernen. Und genau so grundsätzlich ist jeder Mensch in der Lage, Mathematik zu lernen. Die Grundvoraussetzungen für