Mathe ist doof
beides, das Lernen von Sprache und das Lernen von Mathematik, ist uns allen angeboren. Beides ist die „Software“, die mit unserer „Ha rdware“ Gehirn standardmäßig „ausgeliefert“ wi rd.
Verdächtiger Nummer 3: Die Mathematik
Mathematik zu verstehen ist nur wenigen Eingeweihten vorbehalten, denn sie ist wahnsinnig kompliziert und verschachtelt, sagen die einen. Im Gegenteil: Mathematik ist völlig logisch aufgebaut und deswegen so klar und einfach, wie sonst nichts auf der Welt, sagen die anderen. Bereits Kindergartenkinder nutzen ganz selbstverständ lich mathematische Konzepte beim Zählen, beim Zeichnen und Bas teln, beim Singen und beim Spielen; in gewissem Sinn ist Mathema tik wirklich „kinderleicht“. Alles, was mit Mustern zu tun hat, gehört zur Mathematik im engeren Sinne. Mathematik ist die Sprache unse res Gehirns, das die Welt damit entschlüsselt, beschreibt und gestal tet.
Unstrittig ist, dass die Mathematik ein unglaublich vielseitiges und mächtiges Werkzeug ist, und dass die Mathematiker diese s mächtige Werkzeug mit dem denkbar kleinsten technischen Aufwand ent wi ckeln. Dabei erhebt Mathematik gar nicht den Anspruch, etwas über die Wahrheit der Welt zu erfahren, sie funktioniert einfach. Jeder mathematische Beweis gilt immer nur unter der Vorausset zung, dass die Bedingungen, die man für ihn zu Grunde gelegt hat, stimmen. Letztlich sind das aber Bedingungen, die sich selbst nicht beweisen lassen, sondern von denen wir alle ganz selbstverständlich anneh men, dass sie gegeben sind. (Das gilt zumindest für den Be reich der Mathematik, der in der Schule behandelt wird und auf den sich die Inhalte dieses Buches beschränken).
Niemand kann einfach beweisen, dass 1 und 1 zusammen 2 ergeben, aber niemand wird dieses ernsthaft anzweifeln. So lange die Mathe matik auf solchen Selbstverständlichkeiten beruht, steht sie mit kei ner unserer alltäglichen Beobachtungen im Widerspruch.
Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer, seines Zeichens kein Mathematiker, unterschied folgerichtig zwischen der Wahrheit als solcher und den „mathematischen Wahrheiten“. Zu letzteren äußerte er sich wie folgt:
„Selbst Wahnsinnige, wenn sie überhaupt noch verstehen, wovon die Rede ist, sehen die mathematischen Wahrheiten ein!“
Die drei Hauptverdächtigen wurden also in soweit entlastet, dass keinem von ihnen die Alleinschuld an dem teilweise traurigen Zu stand des mathematischen Verständnisses gegeben werden kann. Dennoch können sie aber nicht völlig von dem Vorwurf freigespro chen werden, ihren Teil zu der mitunter unglücklichen Situation bei zutragen.
Mathematikunterricht vermittelt mitunter das falsche Bild von einer Mathematik, in der immer alles eine berechenbare, eindeutige Lö sung besitzt. Eine Frage wie „wie viel Euro kostet ein Dollar?“ wird im Mathematikunterricht nicht gestellt, ohne dass eine Tabelle mit dem Wechselkurs zur Verfügung gestellt wird. Dabei ist das eine komplexe Frage, die ganze He erscharen von Wirtschaftswissen schaftlern beschäftigen kann. Im Mathematikunterricht wird daraus eine simple Zweisatzaufgabe.
Sich selbst als „mathematisch unbegabt“ zu bezeichnen, ist nicht nur nach wie vor gesellschaftlich akzeptiert (wohingegen kaum jemand öffentlich zugeben würde, nicht richtig lesen zu können), sondern gilt mitunter sogar als schick, verbindet man doch mit mathematisch begabten Menschen eher das Bild von blassen, kurzsichtigen und wenig lebensfrohen Gestalten – was genau so zutreffend ist wie die Klischees von den geizigen Schotten, blonden Schweden und leder be hosten, Bier trinkenden Bayern.
Doch was man sich lange genug selbst einredet, gewinnt seine eigene Wahrheit: Stellen Sie ein Tab lett voll mit gefüllten Wassergläsern und tragen Sie dieses mit dem ständig sich wiederholenden Kom mentar: „Oh Gott, das kipp’ ich gleich um!“ durch die Gegend, und es ist klar, was passieren wird. Positives Denken kann helfen, negati ves Denken schadet bestimmt.
Die Mathematik schließlich – oder, besser gesagt, ihre Verbindung zur real empfundenen Welt – ist nicht annähernd so stimmig, logisch, klar und eindeutig, wie wir im allgemeinen denken, dass sie dieses sei. Besonders deutlich wird das gerade bei den grundlegenden, scheinbar so „einfachen“ und „klaren“ Begriffen. Bevor hierzu etli che Beispiele genannt werden, soll in den nächsten beiden Kapiteln geklärt werden, warum dies der Fall ist. Das hat einiges damit
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