Mathe ist doof
wissen wir am bes ten, dass wir eigentlich so gut wie nichts wissen.
Für die Mathematik gilt Ähnliches. Es wimmelt in unserem Alltag nur so von Mathematik, doch bleibt sie im Wesentlichen unsichtbar. Wem ist schon bewusst, dass er morgens in einem Bett aufwacht, das mit Hilfe der Mathematik geplant, hergestellt, verpackt, transportiert, kalkuliert und verkauft wurde; von einem Wecker geweckt, der ohne Mathematik nicht nur nie hätte hergestellt werden können, sondern auch völlig sinnlos wäre, da wir ohne Mathematik auch keinerlei Vorstellung von Zeit und Raum hätten? Dass ohne Mathematik kein Licht brennen, kein Lebensmittel hergestellt und kein einziges tech nisches Gerät funktionieren würde? Wer glaubt, wir würden auch ganz gut ohne Mathematik auskommen, der kann genau so gut glau ben, dass wir keine Luft zum Atmen brauchen, weil sie ja sowieso immer da ist. Aber sollten wir deswegen alle Mathematiker werden? Nein – genau so wenig, wie wir alle Mechaniker oder gar Ingenieure werden müssen, nur weil wir Auto fahren. Doch über Grundkennt nisse sollten wir alle trotzdem verfügen – nicht nur, um eins und eins zusammenzählen zu können, sondern auch, um eine Ahnung davon zu haben, was um uns herum vorgeht – genau so, wie wir uns beim Auto fahren wohler fühlen, wenn wir wissen, dass uns keine un heimlichen Mächte bewegen, sondern eine durch Verbrennung frei gesetzte und raffiniert umgewandelte Energie.
Wir müssten ja nicht unbedingt wissen, dass unsere Erde keine Scheibe ist, dass aus Raupen Schmetterlinge werden und dass andere Menschen andere Sprachen sprechen; wir könnten überleben, ohne je von Mozart, Picasso oder Schiller gehört zu haben und wohl auch in dem Glauben, dass Blitzschläge Zornesausbrüche überirdischer We sen sind. Das wollen wir aber nicht, denn w ir sind zu Recht stolz darauf, d as s wir vieles mit unserem Verstand und unserem Geist fassen können – und dass wir nicht „blöd“ sind, darauf legen wir großen Wert.
Immer, wenn unser Geist ins Spiel kommt, haben wir es aber auto matisch auch mit Mathematik zu tun. Das wird allein durch die Übersetzung des Wortes „Mathematik“ deutlich, das etwa so viel bedeutet wie „die Kunst, etwas zu lernen und zu wissen“. Warum aber scheint vielen genau diese Kunst dann so schwer zu fallen? Diese Kunst, die unser Gehirn so gut beherrscht wie nichts anderes? Diese Kunst, ohne die unsere Spezies nicht bis heute überlebt, ge schweige denn sich so weit entwickelt hätte?
In Wirklichkeit fällt es den allermeisten von uns überhaupt nicht schwer, etwas zu lernen und auch nicht sehr schwer, etwas zu wis sen. Allein die Dinge, die wir in den ersten Lebensmonaten gelernt haben, sind an Komplexität kaum zu übertreffen. Was können wir von Geburt an? Schreien und atmen, saugen und reflexartig greifen – sehr viel mehr ist es nicht. Und was können wir mit einem Jahr? Wären wir nicht in der Lage zu lernen, wir wären kaum überlebens fähig. Aus dem Lernen resultiert auch ein Wissen über das Gelernte; dieses kann sehr bewusst oder auch unbewusst gespeichert sein; Ler nen ist dauerhafte Veränderung aufgrund von Erfahr ung, Wissen die Summe aller „dauerhafte n Veränderung en “ .
Krabbeln, laufen, sprechen, selbstständig essen – alles Lernprozesse, die Wissenserwerb beinhalten: Wissen über sich selbst und seinen Körper, Wissen über die Umwelt und andere Menschen, Wissen über Sprache und Grammatik und vieles mehr.
Nicht erst dadurch, dass Sie diesen Text bis hierher lesen konnten, haben Sie also eindrucksvoll bewiesen, dass Sie in der Lage sind, etwas zu lernen und etwas zu wisse n – Sie sind in gewissem Sinne „Mathematiker“; unabhängig von Ihren Mathematiknoten oder Ihrer Einstellung zu „der Mathematik“.
Mathematik ist überall, es ist sinnvoll, sich mathematisch zu bilden und jeder Mensch bringt die Voraussetzungen mit, dieses erfolgreich tun zu können – und trotzdem (oder vielleicht auch gerade deswe gen?) besitzt Mathematik das Potenzial, unzählige Menschen zu traumatisieren; so sehr, dass sie damit kokettieren, Mathematik „ganz schrecklich“ zu finden – wobei sie nie von sich behaupten würden, es „ganz schrecklich“ zu finden, etwas zu lernen.
In diesem Buch soll der Versuch unternommen werden, diesem Phä nomen ein wenig auf den Grund zu gehen. Es ist kein Buch für Leute, die felsenfest davon überzeugt sind, dass Mathematik für ihr Leben bedeutungslos ist. Es ist auch kein Buch für
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