Mathias Sandorf
angeworben wurden. Er empfing und wurde empfangen. Da Niemand etwas von seiner Vergangenheit wußte, so galt er als einer der Privilegirten, welche man die Glücklichen dieser Erde nennt.
Silas Toronthal war gegen das, was man Gewissensbisse nennt, so gut wie taub. Wenn er nicht Furcht gehabt hätte, daß das Geheimniß seines gemeinen Verrathes eines Tages entdeckt werden könnte, hätte nichts sein Leben beunruhigt.
Doch ihm zur Seite, wie ein stummer, aber lebendiger und beredter Vorwurf stand Frau Toronthal.
Diese unglückliche, gerade und rechtschaffene Frau besaß Kenntniß von diesem elenden Complot, das drei Patrioten in den Tod getrieben hatte. Ein ihrem Gatten entschlüpftes Wort, als seine Geschäfte auf der Kippe standen, die unvorsichtig ausgesprochene Hoffnung, daß ein Theil des Sandorf’schen Vermögens ihm wieder auf die Beine helfen könnte, Unterschriften, welche er von seiner Frau erbeten hatte, alles das hatte ihm das Geständniß seiner Betheiligung an der Aufdeckung der Verschwörung von Triest abgezwungen.
Ein unüberwindliches Gefühl der Abneigung vor dem Manne, an den sie gebunden war, bemächtigte sich der Frau Toronthal, ein Gefühl, das um so verständlicher, als sie selbst eine Ungarin von Geburt war. Sie war aber, wie schon gesagt, eine Frau ohne moralische Stärke. Sie konnte sich nach dem Schlage, den sie erhalten, nicht wieder aufraffen. Seit jenem Ereigniß, erst in Triest, dann in Ragusa lebte sie für sich allein, so weit solches möglich war und nach dem Verhältniß ihrer gesellschaftlichen Stellung. Sie erschien an den Empfangsabenden im Hotel des Stradone, weil sie es mußte und ihrem Manne gegenüber diese Verpflichtung übernommen hatte; wenn jedoch ihre Rolle als Dame von Welt ausgespielt war, zog sie sich in das Innerste ihrer Gemächer zurück. Dort widmete sie sich ganz der Erziehung ihrer Tochter, auf welche sie alle zärtlichen Gefühle übertragen hatte und versuchte zu vergessen. Vergessen, wenn der Mann, der bei jenem Geheimniß betheiligt gewesen war, unter demselben Dache mit ihr lebte!
Genau zwei Jahre nach ihrer Niederlassung in Ragusa sollte sich dieser Stand der Dinge noch verwickelter gestalten. Bereitete diese Verwickelung dem Banquier einen neuen Verdruß, so erblickte Frau Toronthal darin einen neuen Gegenstand des Schmerzes.
Frau Bathory, ihr Sohn und Borik waren ebenfalls von Triest nach Ragusa übersiedelt, woselbst noch einige Verwandte von ihnen am Leben waren. Die Witwe Stephan Bathory’s kannte Silas Toronthal nicht; sie wußte nicht einmal, daß jemals irgend ein Zusammenhang zwischen dem Banquier und Mathias Sandorf existirt hatte. Wie hätte sie auch jemals erfahren sollen, daß dieser Mann Theil an dem Verbrechen genommen hatte, welches drei edlen Ungarn das Leben kostete, da ihr Gatte vor seinem Tode nicht mehr Gelegenheit gehabt, ihr die Namen der Elenden zu nennen, welche ihn der österreichischen Behörde verkauft hatten.
Wenn auch Frau Bathory Silas Toronthal nicht kannte, so war das doch umgekehrt in um so verstärkterem Maße der Fall. Sie in derselben Stadt zu erblicken, ihr oftmals auf der Straße zu begegnen, zu sehen, wie sie arm war und arbeitete, um ihr Kind erziehen zu können, mußte ihm mehr als unangenehm sein. So viel ist gewiß, wenn Frau Bathory schon in Ragusa gewohnt hätte, als er sich daselbst niederlassen wollte, so würde er sofort von seinem Vorhaben abgestanden sein. Doch als die Witwe ihr bescheidenes Heim in der Marinella-Straße bezog, war sein Hotel schon gekauft, seine Einrichtung fertiggestellt, sein gesellschaftlicher Empfang angenommen und erwidert. Er konnte sich nicht dazu entschließen, seinen Wohnsitz abermals zu wechseln.
»Der Mensch gewöhnt sich an Alles,« sagte er zu sich selbst.
Und er beschloß, die Augen vor diesem lebendigen Denkmal seines Verrathes zu schließen.
Wenn Silas Toronthal die Augen schloß, so genügte das, wie es schien, um ihn auch in seinem Innern nichts sehen zu lassen.
Was dem Banquier schließlich nur unangenehm war, wurde für Frau Toronthal eine unaufhörliche Quelle des Schmerzes und der Gewissensbisse. Sie versuchte es mehrfach, der Witwe heimlich Unterstützungen zukommen zu lassen, welche nur durch ihre Arbeit ihren Lebensunterhalt erwarb, doch ihre Unterstützungen wurden stets ebenso abgewiesen wie diejenigen, welche unbekannte Freunde der Witwe aufdrängten. Die energische Frau verlangte nichts und wollte nichts empfangen.
Ein unvorhergesehener, auch
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