Mathias Sandorf
unberechenbarer Umstand sollte diese Sachlage noch unerträglicher gestalten und sogar furchtbar machen durch die Verwickelungen, welche er herbeiführte.
Frau Toronthal hatte ihre volle Liebe auf ihre Tochter übertragen, welche gegen Ende des Jahres 1867, als sie und ihr Mann nach Ragusa kamen, kaum zwei und ein halbes Jahr alt war.
Sarah zählte nun fast siebzehn Jahre. Sie war eine reizende Person, die sich mehr dem ungarischen als dem dalmatinischen Typus näherte. Schwarze, krause Haare, feurige Augen, die sich mit elegantem Schnitt unter der hohen Stirn zeigten, einer Stirn von »psychischer Form«, wenn man sich dieser Bezeichnung bedienen darf, welche die Handschriftendeuter der Hand beizulegen pflegen, ein wohlgeformter Mund, ein warmer Teint, eine edle, etwas über das Durchschnittsmaß große Figur – dieses Zusammenwirken von körperlichen Eigenschaften ließ keinen Blick gleichgiltig.
Namentlich aber überraschte an ihrer Person und machte auf empfindlichere Naturen einen um so nachhaltigeren Eindruck das ernste Aussehen des jungen Mädchens, das nachdenkliche Gesicht, welches stets auf der Suche nach verblichenen Erinnerungen zu sein schien. Dieser Umstand hielt ihr auch alle Diejenigen vom Leibe, welche in den Salons ihres Vaters verkehrten, und die, welche ihr mehrfach im Stradone begegneten.
Man wird es unschwer glauben, daß Sarah als Erbin eines Vermögens, welches für ungeheuer groß galt und eines Tages ganz allein an sie fallen mußte, sehr gesucht war. Es waren ihr auch schon mehrere Heiraten vorgeschlagen worden, die nach jeder Richtung hin Annehmbares boten, das junge, von der Mutter bevormundete Mädchen hatte jedoch alle Anträge bisher von der Hand gewiesen, ohne sich herbeizulassen, die Gründe für ihre Weigerung anzugeben. Silas Toronthal hatte sie in dieser Beziehung niemals weder beeinflußt noch gedrängt. Augenscheinlich hatte sich ihm der Schwiegersohn, den er brauchen konnte – er mehr als Sarah – noch nicht gezeigt.
Es gehört sich, daß zur Vollendung des Gemäldes von Sarah Toronthal ihre sehr ausgesprochene Neigung, tugendhafte und muthige Thaten zu bewundern, welche der Vaterlandsliebe verschwägert sind, hervorgehoben wird. Sie beschäftigte sich mit der Politik durchaus nicht, doch die Erzählung dessen, was ihr Vaterland anging, die demselben geweihten Opfer, die neueren Beispiele, deren sich die Geschichte ihres Landes rühmt, erregten sie tief. In dem Zufalle ihrer Geburt waren solche Gefühle kaum zu suchen – von Silas Toronthal rührten sie ganz gewiß nicht her – sie selbst also, edel und edelmüthig wie sie war, konnte sie nur in ihrem eigenen Herzen gefunden haben.
Diese Neigung erklärt auch auf ganz natürliche Weise – gerade als wäre es vorher so bestimmt worden – die sympathische Annäherung Sarah Toronthal’s an Peter Bathory. Ja, eine Art Schicksalstücke, die in das Spiel des Banquiers griff, hatte sich darin gefallen, die beiden jungen Leute sich kennen lernen zu lassen. Sarah stand im zwölften Lebensjahre, als man ihr eines Tages Peter gezeigt und gesagt hatte:
»Das ist der Sohn eines Mannes, der für Ungarn gestorben ist.«
Diese Worte waren ihrem Gedächtnisse nie entschwunden. Beide waren dann größer geworden. Sarah dachte schon an Peter, ehe dieser sie kannte. Sie sah ihn so schwermüthig und grübelnd. Wenn er auch arm war, so arbeitete er doch, um des Namens seines Vaters würdig zu werden, und sie kannte dessen Geschichte.
Man weiß das Uebrige, man weiß wie Peter Bathory seinerseits von dem Anblicke Sarah’s entzückt und begeistert wurde, deren Natur mit der seinigen übereinstimmte, wie der junge Mann sie bereits mit einer innigen Liebe, die sie aber bald theilen sollte, umfaßte, ehe sie sich noch über das Gefühl klar
Sarah zählte nun fast siebzehn Jahre. (S. 255.)
wurde, welches in ihr aufwuchs.
Alles was Sarah Toronthal sonst noch angeht, ist gesagt, sobald man die Stellung, die sie in ihrer Familie einnahm, kennen gelernt hat.
Ihrem Vater gegenüber hielt sich Sarah stets äußerst reservirt. Niemals bemerkte man einen Zug des Herzens auf Seiten des Vaters, niemals ein kindliches Schmeicheln bei der Tochter. Bei dem Einen war es Gefühllosigkeit, bei der Anderen rührte diese Entfremdung von einer Verschiedenheit der Ansichten in allen Dingen her. Sarah besaß für ihren Vater nur die Achtung, welche die Tochter dem Vater schuldet, nichts mehr. Er ließ sie im Uebrigen nach Gefallen ihre Wege
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