Mathias Sandorf
waren. Gott schien die Elenden in der That beschützen zu wollen, denn seine Güte erstreckte sich scheinbar bis zum Aeußersten, das heißt, bis zu dem Tage, an welchem Sarcany der Mann Sarah Toronthal’s und zugleich Herr über ihr Vermögen werden sollte.
Doch Gott schien ihn auch auf seine Geduld hin prüfen zu wollen, denn die Verzögerung, welche die Heirat betroffen, zog sich in die Länge.
Als die Kranke – körperlich wenigstens – sich von dem schrecklichen Zufalle wieder erholt hatte, als Sarcany annehmen konnte, daß nun die Rede von der Wiederaufnahme seiner Projecte sein würde, erkrankte Frau Toronthal ebenfalls. Die Lebenssäfte dieser bedauernswerthen Frau waren vollständig aufgebraucht. Nach dem Leben, das sie seit den Ereignissen in Triest geführt, und seitdem sie erfahren, an welch unwürdigen Mann sie gebunden war, kann das nicht wunderbar erscheinen. Dann kamen, wenn auch nicht die Kämpfe, so doch die Anstrengungen über sie, welche sie die letzten Schritte, die sie zu Gunsten Peters gethan, gekostet. Ihr verlangte danach, einen Theil des Unrechts abzutragen, das man der Familie Bathory angethan hatte. Schließlich der Aerger über das Unnütze ihrer Bitten gegenüber dem Einflusse des so unvermuthet in Ragusa eingetroffenen Sarcany.
Von den ersten Tagen der Krankheit an war es offenbar, daß dieses Leben endgiltig entfloh. Die Aerzte machten Frau Toronthal nur noch auf wenige Tage Hoffnung. Sie mußte an Entkräftung sterben. Kein Mittel konnte ihr helfen, selbst wenn Peter Bathory seinem Grabe entstiegen wäre und ihre Tochter geheiratet hätte.
Sarah konnte ihr all die Liebe und Pflege noch vergelten, die sie ihr hatte angedeihen lassen und verließ Tag und Nacht nicht das Schmerzenslager.
Was Sarcany in Folge dieses neuen Aufschubs litt, ist begreiflich. Er zankte und schalt unaufhörlich auf den Banquier ein, der ebenso wie er lahm gelegt war.
Die Klärung dieser Lage konnte nicht auf sich warten lassen.
Am 29. Juli, also einige Tage später, schien Frau Toronthal’s Befinden ein besseres, ihre Kräfte schienen sich wieder einzustellen.
Ein hitziges Fieber gab sie ihr, dessen heftiges Auftreten sie innerhalb 48 Stunden dahinraffen mußte.
Wilde Fieberphantasien entstiegen ihrem Gehirn; sie begann Unverständliches wirr durcheinander zu sprechen.
Ein Name – ein Name, der unaufhörlich dabei zum Vorschein kam – war namentlich dazu angethan, Sarah zu überraschen. Es war der Name Bathory, nicht der des Sohnes, sondern derjenige der Mutter, welchen die Kranke in einem fort nannte, rief, beschwor, als würde sie von Gewissensbissen gefoltert.
»Verzeihung, Madame!… Verzeihung!«
Und als Frau Toronthal während einer durch die Fieberanfälle verursachten Erschöpfung von dem jungen Mädchen dieserhalb befragt wurde, rief sie erschrocken:
»Schweige, Sarah!… Schweige!… Ich habe nichts gesagt!«
So kam die Nacht vom 30. auf den 31. Juli heran. Einen Augenblick glaubten die Aerzte, daß die Krankheit der Frau Toronthal, nachdem sie ihren Höhepunkt überschritten hatte, im Abnehmen begriffen sei.
Der Tag war ein besserer gewesen, ohne Gehirnaffectionen, und ein vollständiger, überraschender, weil unerwarteter Wechsel in der Krankheit war eingetreten. Die Nacht versprach ebenso ruhig zu bleiben, als es der Tag gewesen war.
Dieser günstige Umstand hatte seinen guten Grund. Frau Toronthal fühlte nämlich noch kurz vor ihrem Tode eine Willensstärke in sich, deren man sie nie für fähig gehalten hätte. Nachdem sie sich mit ihrem Gott versöhnt, hatte sie einen Entschluß gefaßt, zu dessen Ausführung sie den günstigen Augenblick abwartete.
Sie verlangte von ihrer Tochter, daß sie in dieser Nacht mehrere Stunden ruhen sollte. Sarah mußte trotz aller Einwände, die sie erhob, ihrer Mutter gehorchen, da sie ihren festen Willen sah.
Gegen elf Uhr Nachts kehrte Sarah in ihr Zimmer zurück. Frau Toronthal blieb allein in dem ihrigen. Alles schlief im Hause, wo jetzt eine Stille herrschte, die man mit Recht als das »Schweigen des Todes« bezeichnet.
Frau Toronthal erhob sich und diese Kranke, deren Schwäche sie an der leisesten Bewegung hinderte, wie man glaubte, besaß die Kraft, sich anzukleiden und vor einem kleinen Schreibtische Platz zu nehmen.
Hier griff sie nach einem Blatt Papier und mit zitternder Hand schrieb sie einige Zeilen nieder, welche sie mit ihrem Namenszuge unterzeichnete. Dann steckte sie diesen Brief in ein Couvert, siegelte dieses und
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