Mathias Sandorf
Sarah benachrichtigen ließ, er wünsche am Abend mit ihr zu sprechen. Da er sie gleichzeitig wissen ließ, daß Sarcany bei ihrer Unterhaltung zugegen sein würde, erwartete er eine Weigerung. Er täuschte sich. Sarah ließ zurücksagen, daß sie seinem Wunsche Folge leisten würde.
Als der Abend angebrochen war, erwarteten Toronthal und Sarcany Sarah ungeduldig im großen Salon des Hotels. Der Erste war fest entschlossen, sich nicht von ihr leiten zu lassen, da er über sie als Vater Macht und Recht zu beanspruchen hatte. Der Andere, entschlossen sich zu mäßigen, mehr zuzuhören als zu sprechen, wollte vor allen Dingen entdecken, welche die geheimen Gedanken des jungen Mädchens waren. Er fürchtete stets, daß sie über manche Dinge besser unterrichtet sein könnte, als es den Anschein hatte.
Sarah betrat den Salon zur festgesetzten Stunde. Sarcany erhob sich, als sie eintrat; aber auf den Gruß, den er ihr bot, antwortete sie nicht einmal durch ein Neigen des Kopfes. Sie schien ihn nicht bemerkt zu haben oder vielmehr, sie wollte ihn jedenfalls nicht bemerken.
Sie setzte sich auf eine Einladung von Silas Toronthal hin. Regungslos und mit einem Antlitz, das die Trauergewänder noch bleicher erscheinen ließen, wartete sie auf die erste Frage, die an sie gestellt werden würde.
»Sarah, sagte der Banquier, ich habe die Trauer geachtet, die der Tod Deiner Mutter Dir verursacht hat und Deine Zurückgezogenheit nicht stören wollen. Diese traurigen Ereignisse haben indessen Folgen nach sich gezogen und über gewisse Angelegenheiten von Interesse muß nothwendiger Weise gesprochen werden…. Obwohl Du die Großjährigkeit noch nicht erreicht hast, ist es gut, daß Du erfährst, welcher Erbtheil Dir zufällt….
– Wenn es sich nur um eine Vermögensfrage handelt, erwiderte Sarah, brauchen wir uns nicht lange darüber zu unterhalten. Ich beanspruche nichts von der Erbschaft, von der Sie sprechen wollen.«
Sarcany machte eine Bewegung, die ebenso gut eine lebhafte Enttäuschung als auch, vielleicht, eine mit Besorgniß gepaarte Ueberraschung ausdrücken konnte.
»Ich glaube, Sarah, begann Silas Toronthal von Neuem, daß Du nicht recht die Tragweite meiner Worte begriffen hast. Ob Du willst oder nicht, Du bist die Erbin von Frau Toronthal, Deiner Mutter, und das Gesetz verpflichtet mich, Dir Rechnung abzulegen, sobald Du großjährig geworden sein wirst…
– Wenn ich nicht schon vorher auf das Erbe verzichte, erwiderte das junge Mädchen gelassen.
– Und warum?
– Weil ich zweifellos kein Recht darauf habe.«
Der Banquier wendete sich auf seinem Fauteuil herum. Auf diese Antwort wäre er nie und nimmermehr gefaßt gewesen. Sarcany sagte nichts. Nach seiner Ueberzeugung spielte Sarah ein Spiel und er gab sich lediglich Mühe, ihr in die Karten blicken zu können.
»Ich weiß nicht, Sarah, sagte Silas Toronthal, ungeduldig über die von dem jungen Mädchen bewahrte kühle Haltung, ich weiß nicht, wohin Deine Worte zielen, auch nicht, wer sie Dir eingegeben hat. Ich will auch hier nichts weniger als mit Dir über Recht und Rechtswissenschaft streiten. Du stehst unter meiner Vormundschaft und hast gar keine Befugniß etwas von der Hand zu weisen oder anzunehmen. Du wirst Dich also der Autorität Deines Vaters unterwerfen, die Du doch nicht in Abrede stellen kannst, wie ich annehme?…
– Vielleicht, antwortete Sarah.
– Also wirklich, rief Silas Toronthal, der nun ein wenig seine Kaltblütigkeit zu verlieren begann, also wirklich! Du sprichst drei Jahre zu früh, Sarah. Wenn Du mündig geworden bist, kannst Du über Dein Geld nach Belieben verfügen. Bis dahin sind Deine Interessen mir anvertraut und ich werde sie vertheidigen, wie ich es für gut erachte.
– Schön, sagte Sarah, so werde ich warten.
– Worauf willst Du warten? erwiderte der Banquier. Du vergißt zweifellos, daß Deine Stellung sich ändern wird, sobald die Schicklichkeit es erlaubt. Du hast also um so weniger das Recht, Dein Vermögen zum Fenster hinauszuwerfen, als Du bei diesem Geschäft nicht mehr allein interessirt sein wirst….
– Ja… Ein Geschäft ist es! bemerkte Sarah in verächtlichem Tone.
– Glauben Sie mir, mein Fräulein, glaubte hier Sarcany einschalten zu müssen, auf den das mit der schneidendsten Verachtung ausgesprochene Wort zu zielen schien, daß ein edleres Gefühl…«.
Sarah sah nicht so aus, als ob sie das Gesagte gehört hätte und blickte unentwegt den Banquier an, der mit etwas unsicher
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