Mathias Sandorf
Ungestüme eines Stromes oder einer Springfluth. Wohin geht unter der Stadt fort sein Lauf? Man weiß es nicht. Wo erscheint er wieder? Auch das weiß man nicht. Man kennt von dieser Höhle oder vielmehr von diesem Canale, der sich durch den Schiefer und den Thon seinen Weg gebohrt hat, weder Länge noch Höhe, noch seine Richtung. Wer vermag zu sagen, ob die Gewässer sich nicht an hunderten von Vorsprüngen, an einem Walde von Pfeilern brechen, die als ungeheurer Unterbau Stadt und Festung vollständig tragen. Als einst ein nicht zu hoher und nicht zu niedriger Wasserstand die Benützung eines leichten Bootes gestattete, hatten schon einmal kühne Forscher versucht, den Lauf der Foïba durch diesen dunklen Schlund zu verfolgen; aber das Niedrigerwerden der Wölbungen hatte ihnen bald ein unüberwindliches Hinderniß entgegengestellt. Man wußte eben von der Beschaffenheit dieses unterirdischen Flußlaufes nichts. Vielleicht verlor er sich in irgend einer unsichtbaren Stelle, die sich unterhalb des Niveaus des Adriatischen Meeres gebildet hatte.
So beschaffen also zeigte sich der Buco, von dessen Vorhandensein Graf Sandorf überhaupt keine Ahnung hatte. Da eine Flucht nur durch das einzige Fenster der Zelle, welches sich über dem Buco öffnete, möglich war, so bedeutete diese für ihn einen eben so gewissen Tod, als wenn er sich vor die Front eines Executionspelotons gestellt hätte.
Ladislaus Zathmar und Stephan Bathory warteten nur noch auf den Augenblick des Handelns; sie waren, wenn es sein mußte, bereit, zu bleiben, um dem Grafen Sandorf durch ihre Aufopferung zu Hilfe zu kommen, und eben so entschlossen, ihm zu folgen, wenn ihre Flucht nicht die seinige vereiteln konnte.
»Wir fliehen zusammen, sagte Mathias Sandorf, trennen uns aber, sobald wir draußen angelangt sind.«
Von der Stadt herauf tönte das Schlagen der achten Stunde. Den Verurtheilten blieben also nur noch zwölf Stunden zum Leben.
Die Nacht begann herniederzusinken, allem Anscheine nach blieb sie eine dunkle. Dicke, fast unbeweglich erscheinende Wolken zogen sich schwerfällig am Himmel zusammen. Die schwüle, erstickende Luft schien mit Elektricität durchsättigt, ein heftiges Ungewitter war im Anzuge. Noch zuckten keine Blitze aus diesen, wie Accumulatoren des elektrischen Stromes aufgestellten Dunstmassen, aber schon lief ein dumpfes Grollen an der Gebirgskette entlang, die Pisino einschließt.
Eine unter diesen Verhältnissen ausgeführte Flucht hätte zweifellos einige günstige Aussichten gehabt, wenn sich eben nicht jener unbekannte Abgrund unter den Füßen der Flüchtigen befunden haben würde. In der stockdunklen Nacht war er nicht zu sehen, beim Tosen des Gewitters war von ihm nichts zu hören.
Wie Graf Sandorf von vornherein eingesehen hatte, war die Flucht nur durch das Fenster der Zelle möglich. An ein Dringen durch die Thür, an ein Eindrücken ihrer starken, eichenen, mit eisernen Beschlägen versehenen Bohlen konnte nicht gedacht werden. Der Schritt einer Schildwache hallte auch von den Fliesen des Corridors wider. Und wenn man auch schon die Thür glücklich hinter sich gehabt hätte, so würde man sich durch das Labyrinth im Innern der Festung doch nicht hinausgefunden haben. Und wie hätte man durch das Schutzgatter und über die Zugbrücke kommen sollen, die doch gewiß von Soldaten scharf bewacht wurden? Auf der Seite des Buco gab es allerdings keinen Posten. Aber der Buco vertheidigte diese Seite des Wartthurmes besser, als es ein Ring von Soldaten gethan hätte.
Graf Sandorf beschäftigte sich also lediglich damit, zu untersuchen, ob das Fenster ihnen Durchlaß gewähren würde.
Dieses maß ungefähr drei und einen halben Fuß in der Höhe und zwei Fuß in der Breite. Es erweiterte sich auf der Außenseite der Mauer, die an dieser Stelle an vier Fuß stark sein mochte. Ein eiserner, solide gearbeiteter Querbalken verriegelte es. Er war in die Wand, nahe ihrer inneren Fläche eingelassen. Ein hölzerner Blendkasten, der das Licht nur von oben hereindringen läßt, fehlte hier. Dieser wäre deshalb nutzlos angebracht gewesen, weil die Oeffnung so geartet war, daß der Blick nicht in die Schlucht des Buco dringen konnte. Wenn man es also durchsetzte, diesen Querbalken auszureißen, oder fortzubringen, so war es leicht, durch das Fenster zu schlüpfen, welches mehr einer in die Mauer einer Festung eingelassenen Schießscharte, als einem solchen glich. Wie aber sollte sich weiter das Herunterklettern an der
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