Mathias Sandorf
sich Graf Sandorf bis zum Fenster hinauf; er ergriff die Klammer kräftig mit der einen Hand und fühlte, daß es vielleicht auch ohne große Mühe gelingen würde, sie auszureißen.
Die eisernen Stangen saßen in der That etwas locker in den Mauerhöhlen. Das zu ihrer Befestigung dienende Steinwerk bot einen nur mittelmäßigen Widerstand. Sehr wahrscheinlich war das Kabel des Blitzableiters, bevor gewisse Ausbesserungen gemacht worden waren, in einem sehr schlechten Leitungszustande gewesen.
Ein mächtiger Blitzstrahl hüllte sie Beide ein.(S. 103)
Der elektrische Funke war alsdann, von der eisernen Fensterklammer angezogen, in die Mauer selbst gedrungen, und man weiß, wie grenzenlos, so zu sagen, seine Kraft ist. Aus diesem Grunde zeigten sich jetzt Brüche in den Höhlen, in denen die Enden der eisernen Stangen ruhten, und eine Zerbröckelung des Gesteins, die bereits zu einem schwammigen Zustande desselben geführt hatte, als wenn es von Millionen von elektrischen Funken durchsiebt worden wäre.
Stephan Bathory war es, der mit wenigen Worten eine Erklärung dieser Erscheinung gab, sobald er sie seinerseits in Augenschein genommen hatte.
Hier handelte es sich aber nicht um wissenschaftliche Erklärungen, sondern um schnelles Zugreifen, da jeder Augenblick kostbar war. Wenn es gelang, die Enden der eisernen Stangen dadurch frei zu machen, daß man die Schutzsteine ihrer Höhlen springen ließ, so würde es auch vielleicht zu ermöglichen sein, das Fensterkreuz nach außen zu drängen und so eine breitere, von innen nach außen gehende Oeffnung zu schaffen; dann wollte man es in die Tiefe fallen lassen. Der Lärm, den der Fall machte, konnte inmitten der lang dahinrollenden Donnerschläge nicht gehört werden, die sich schon in unaufhörlicher Folge über die niedrigeren Zonen des Himmels fortpflanzten.
»Wir können aber die Steine doch nicht mit unseren Händen losreißen? meinte Ladislaus Zathmar.
– Nein, erwiderte Graf Sandorf. Wir brauchen irgend ein Stück Eisen, eine Klinge –«
Etwas Derartiges war allerdings von Nöthen. So zerreiblich auch die Mauerwand an den betreffenden Stellen erschien, so wären trotzdem die Nägel abgebrochen und die Finger hätten sich bei dem Versuche, den Stein mürbe zu machen, blutig geschunden. Wenn man das Werk beginnen wollte, mußte man wenigstens einen Nagel zur Verfügung haben.
Graf Sandorf blickte in dem unbestimmten Lichte, welches vom schwach beleuchteten Flur durch den Thürknauf in die Zelle drang, um sich. Er tastete mit der Hand die Mauern ab, in denen sich vielleicht noch ein eingeschlagener Nagel befand. Er fand indessen nichts. Dann hatte er den vielleicht ausführbaren Gedanken, einen Fuß der eisernen Bettstellen, welche an der Wand befestigt waren, abzubrechen. Alle drei begannen diese Arbeit und bald störte Stephan Bathory die Thätigkeit der Genossen durch einen halblauten Zuruf.
Der Stift einer der Metallstäbe, deren Lage über Kreuz den Bettboden bildete, hatte nachgegeben. Man brauchte diesen locker gewordenen Stab nur an seinem einen Ende zu fassen, ihn nach links und nach rechts mehrere Male zu drehen, um ihn ganz von dem Gestelle los zu bekommen.
Das war im Handumdrehen geschehen. Graf Sandorf besaß nun ein Werkzeug von fünf Zoll Länge und einem Zoll Breite, das er am Handgriff mit seinem Halstuche umwickelte; dann kehrte er zur Fensteröffnung zurück und begann den äußeren Rand der vier Höhlungen zu bearbeiten.
Sein Arbeiten konnte natürlich nicht ohne Geräusch abgehen. Glücklicherweise wurde es vom Grollen des Donners übertönt. Während der Pausen, die das Gewitter machte, verhielt sich auch Graf Sandorf still, nachher nahm er seine Arbeit, die schnell vorrückte, um so emsiger wieder auf.
Stephan Bathory und Ladislaus Zathmar horchten an der Thür, um ihn zu unterbrechen, sobald der Posten sich der Thür näherte.
Ein »Pst« entschlüpfte plötzlich den Lippen von Ladislaus Zathmar; das Arbeiten hörte sofort auf.
»Was gibt es? fragte Stephan Bathory.
– Hören Sie!« antwortete Zathmar.
Er hatte sein Ohr dem Brennpunkte der ellipsoidalen Wölbung nahe gebracht und von Neuem zeigte sich die akustische Erscheinung, welche den Gefangenen das Geheimniß des Verrathes offenbart hatte. Folgende Sätze konnten noch in kurzen Pausen von den Lauschern aufgefangen werden:
»Morgen… Freiheit… gesetzt…«
»Ja… Gefangenenliste… aufgenommen… und…«
»Nach der Execution… dann… ich werde mit
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