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Mathias Sandorf

Mathias Sandorf

Titel: Mathias Sandorf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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umzusetzen. Der scharfe, von der Pflaume destillirte »Silbovitz« wurde augenscheinlich nicht geschont, doch lief er wie Honigwasser durch die ausgepichte Kehle des Zigeuners.
    Nicht allen unter freiem Himmel »arbeitenden« Sängern oder Seiltänzern wurde in gleicher Weise die Gunst des Publicums zu Theil. Zu denen, an welchen man ziemlich gleichgiltig vorüberging, gehörten zwei Akrobaten, die sich vergeblich auf der Estrade ihrer Bude abmühten, Zuschauer anzulocken.
    Hinter dieser Estrade hing eine mit schreienden Farben übermalte, in ziemlich schlechtem Zustande bereits befindliche Leinwand herab; die Malerei stellte wilde, in Wasserfarben ausgeführte Thiere in denkbar abenteuerlichsten Gestaltungen vor, Löwen, Schakale, Hyänen, Tiger, Schlangen und so weiter; alle diese Thiere sprangen, bäumten und wanden sich inmitten der unwahrscheinlichsten Landschaften. Hinter diesem Vorhange befand sich eine kleine Arena, die von einer alten Segelleinwand eingeschlossen wurde. Dieselbe wies so viele Löcher auf, daß das Auge des Indiscreten unwillkürlich hier festgebannt wurde – den Schaden hatte natürlich die Einnahme.
    An der Vorderseite, auf einer der schlecht befestigten Zeltstangen war ein im Rohzustande befindliches gewöhnliches Brett aufgenagelt, das folgende fünf, mit dick aufgetragener Kohle geschriebene Worte zeigte:
     
    Pescade und Matifu
    französische Akrobaten.
     
    In ihrer äußeren Erscheinung und zweifellos auch in moralischer Hinsicht waren die beiden Männer so grundverschieden, wie eben nur zwei Menschen es sein können. Ihre gleiche Heimat hatte sie wahrscheinlich anfänglich einander genähert, um fortan gemeinsam durch die Welt zu ziehen und den »Kampf des Lebens« zu kämpfen. Sie stammten beide aus der Provence.
    Woher mochten ihnen wohl die wunderlichen Namen gekommen sein, welche in ihrer fernen Heimat vielleicht als ihre Spitznamen gegolten hatten? Waren sie etwa den beiden bekannten geographischen Punkten entlehnt, zwischen denen sich der Golf von Algier öffnet – Kap Matifu und das Vorgebirge Pescade? Man ging in der letzteren Annahme nicht fehl; beide Namen waren angenommene, und sollten das Riesenhafte ihrer Leistungen, ähnlich wie der Name Atlas, auf ihren Kämpfen in der Fremde bezeichnen.
    Kap Matifu ist eine gewaltige, mächtige unerschütterliche Anhöhe und erhebt sich auf der äußersten nordöstlichen Spitze der ungeheuren Rhede von Algier; sie scheint die Wuth der Elemente zu mißachten und den Ausspruch zu verdienen:
     
    Ihre unzerstörbare Masse hat die Zeit ermüdet.
     
    Denselben Eindruck machte auch der Athlet Matifu; er schien ein Alcide, ein Porthos, ein glücklicher Nebenbuhler der Ompdrailles, von Nicolas Creste und anderen berühmten Ringkämpfern zu sein, welche die Zierden der Arenen des südlichen Frankreichs bilden.
    Dieser Riese – »man muß es sehen, um es zu glauben«, wäre man vielleicht versucht zu sagen – war fast sechs Fuß groß; er hatte einen mächtigen Kopf, die Schultern im Verhältniß, eine Brust wie ein Schmiedeblasebalg, Beine wie ein zwölfjähriges Laßreis, Arme wie die Zugstangen an Maschinen und Hände wie Blechscheeren. Hier zeigte die menschliche Kraft ihr ganzes Können und doch würde man überrascht gewesen sein, zu hören, daß dieser Koloß kaum sein zweiundzwanzigstes Lebensjahr erreicht hatte.
    Dieser mit mittelmäßiger Intelligenz begabte Hüne besaß ein gutes Herz, einen anspruchslosen und sanften Charakter. Er kannte weder Haß noch Zorn. Er wäre nicht im Stande gewesen, Jemandem weh zu thun. Kaum daß er es wagte, Jemand die Hand zu drücken, weil er fürchtete, sie in der seinigen zu zerquetschen.
    Nichts in seinem Wesen ließ den Tiger ahnen, über dessen Kräfte er verfügte. Er gehorchte jedem Worte, jedem Fingerzeige seines Genossen, als hätte eine Laune der Schöpfung ihn zum Riesensohne dieses Hanswurstes gemacht.
    Auf der anderen Seite des Golfes von Algier liegt an der äußersten westlichen Spitze, dem Kap Matifu gegenüber, das Vorgebirge Pescade, eine dünne, langgedehnte, steinreiche Landzunge, die sich weit hinaus in das Meer erstreckt. Diesem Vorgebirge hatte der andere Künstler seinen Namen Pescade entlehnt, ein zwanzigjähriger, kleiner, schmächtiger junger Mann, der kaum den vierten Theil in Pfunden wog von dem, was der andere in Kilos schwer war; er war aber dafür geschmeidig, behend, einsichtsvoll, von einem unverwüstlichen Humor im Glück und Unglück, in seiner Art ein

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