Mathias Sandorf
Ein starker Esser ist mein Kap und Sie werden doch nicht wollen, daß er in Ihren Diensten seine Kräfte zusetzt?
– Ich behaupte, daß er sie verdoppeln wird.
– Dann sind Sie ruinirt, Herr Doctor!
– Man ruinirt mich nicht, Pointe Pescade.
– Indessen, zweimal, vielleicht dreimal essen am Tage…
– Fünf-, sechs-, siebenmal, wenn er Lust hat, antwortete Doctor Antekirtt lachend. Ich halte für Jedermann offenen Tisch.
– He! Kap! rief Pointe Pescade ganz entzückt. Du wirst also nach Deinem Belieben essen können.
– Und Ihr auch, Pointe Pescade.
– O, ich, ich bin nur ein Vogel. Doch darf ich fragen, Herr Doctor, ob wir oft in See gehen?
– Sehr oft. Ich habe jetzt in allen vier Ecken des Mittelmeeres zu thun. Meine Kundschaft ist so ziemlich über alle Ufer hin vertheilt. Ich halte darauf, die ärztliche Praxis in internationaler Weise auszuüben. Wenn ein Kranker in Tanger oder auf den Balearen nach mir ruft, während ich in Suez bin, muß ich da nicht zu ihm fahren? Wie ein Arzt in einer größeren Stadt von einem Stadttheil in den andern eilt, so fahre ich von Gibraltar nach dem griechischen Archipel, von der Adria nach dem Golf von Lyon, von dem Ionischen Meere nach dem Golf von Gabes. Ich besitze noch andere, zehnmal schnellere Fahrzeuge, als dieser Schooner ist und Ihr sollt mich am häufigsten begleiten.
– Das ist schön, Herr Doctor, antwortete Pointe Pescade sich die Hände reibend.
– Ihr fürchtet das Meer nicht? fragte der Doctor.
– Wir? Das Meer fürchten? Wir, die Kinder der Provence? Als Jungens schon sind wir im Boote den Fluß hinabgetrieben. Nein! Wir fürchten das Meer nicht und auch nicht die Seekrankheit, wir, die wir gewöhnlich mit dem Kopfe nach unten und den Füßen in der Luft herumspazieren. Wenn Herren und Damen, ehe sie auf See gehen, nur zwei Monate lang dieses Exercitium durchmachen, so werden sie es nicht mehr nöthig haben, während der Ueberfahrt zu jammern und zu stöhnen. Herein, herein! meine Damen und Herren, schließen Sie sich der Gesellschaft an!«
Und der fröhliche Pescade schlug den altgewohnten Ton an, als befände er sich wieder auf dem Schaugerüste seiner Bude.
»Bravo, Pointe Pescade! sagte der Doctor. Wir werden Beide mit einander wunderbar gut auskommen und ich empfehle Euch namentlich, nichts von Eurer guten Laune einzubüßen. Lacht, mein Junge, lacht und singt, so viel Ihr wollt. Die Zukunft birgt vielleicht noch viel Trauriges, daß Eure Heiterkeit unterwegs nicht zu verachten sein wird.«
Doctor Antekirtt war bei diesen Worten wieder ernst geworden. Pescade, der ihn beobachtete, fühlte, daß dieser Mann in früheren Zeiten einen großen Schmerz erfahren haben mußte, den auch er vielleicht noch eines Tages kennen lernen würde.
»Herr Doctor, beeilte er sich darum zu sagen, von heute an gehören wir Ihnen mit Leib und Seele!
– Und von heute an könnt Ihr Euch bereits häuslich in Eurer Cabine einrichten. Ich werde wahrscheinlich noch einige Tage in Gravosa und Ragusa bleiben; doch ist es gut, wenn Ihr Euch schon jetzt daran gewöhnt, an Bord der »Savarena« zu leben.
– Bis zu dem Augenblicke, in welchem Sie uns in Ihr Land führen werden, setzte Pointe Pescade hinzu.
– Ich besitze kein Heimatland, erwiderte der Doctor, oder vielmehr, ich besitze eines, das ich mir selbst geschaffen habe, ein Land, das mir gehört und, wenn Ihr wollt, auch das Eure werden wird.
– Vorwärts, Kap Matifu! rief Pointe Pescade, wir wollen unser Geschäftshaus liquidiren. Aengstige Dich nicht, wir schulden nichts und wir werden deshalb nicht in Concurs gerathen.«
Die Freunde verabschiedeten sich von Doctor Antekirtt vollkommen befriedigt und bestiegen das Boot, das sie noch erwartete und an die Quais von Gravosa brachte.
In zwei Stunden hatten sie ihr Inventar aufgenommen und einem Collegen das Gerüst, die bemalte Leinwand, die große Pauke und die Trommel abgetreten, die ihr ganzes Hab und Gut bildeten. Das dauerte nicht lange und war nicht schwierig und schwach wurden sie auch nicht von dem Gewichte der wenigen Gulden, die ihnen ihr Ausverkauf einbrachte.
Pointe Pescade bestand indessen darauf, aus dem Schiffbruche seines Akrobatenlebens noch sein Costüm und das
cornet à piston
zu retten und Kap Matifu seine Posaune und den Anzug eines Ringkämpfers. Sie hätten den Kummer, sich von ihren Instrumenten und diesem Flitterstaate trennen zu müssen, die sie an so viele Triumphe und Erfolge erinnerten, kaum ertragen. Diese
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