Mathilda, Mathilda! - Drei wie Zimt und Zucker: Band 3 (German Edition)
kann isch nix maachen«, sagte er auf Kölsch. Um dann aufmunternd hinzuzufügen: »Et hätt noch immer jot jejange.«
Na herrlich, zu wissen, dass alles letztlich gut ausgeht, das half mir im Moment keinen Zentimeter weiter. Im Gegenteil. Hinter mir riefen die Fahrgäste, wann es denn endlich weiter ginge. Als ich ausstieg, kam es mir so vor, als ob der ganze Bus mir ansah, dass ich gerade von zu Hause abgehauen war. Mit weichen Knien setzte ich mich ins Bushäuschen. Was sollte ich jetzt machen? Dann atmete ich auf. Bestimmt konnte mich Hannah hier abholen und mir etwas Geld leihen. Wir würden gemeinsam zu ihr nach Hause fahren, ewig in ihrem Bett liegen und über alles, was passiert war, quatschen. Der Gedanke fühlte sich einfach wunderbar an.
Ich wühlte in meiner Sporttasche, zog mein Handy heraus und gleich darauf stöhnte ich wieder. Der Akku war leer. Ich hatte mal wieder vergessen, mein Handy aufzuladen. Nun blieb mir keine andere Wahl: Ich musste zu Fuß gehen. Quer durch Köln, über die Rheinbrücke … schon bei dem Gedanken wurde mir flau. Wie lange würde das von Mühlheim bis in unser altes Viertel dauern? Auf einmal wurde mir unheimlich zu Mute. Ob ich vor Einbruch der Dunkelheit bei Hannah sein würde? Würde Mama sich vielleicht Sorgen um mich machen?
Das, was bei uns im Bergischen Land als Schneeregen herunter gekommen war, gab es in Köln ausschließlich als Regen. Er plätscherte nur so auf das Dach des Bushäuschens. Niemand war auf der Straße. Nur ein alter Mann mit einem dicken Hund an der Leine und einem Regenschirm in der anderen Hand war unterwegs. Am liebsten hätte ich mich irgendwo ins Warme gesetzt, geweint und nicht mehr aufgehört.
Aber dann dachte ich: Wer von zu Hause abhaut, muss mit Problemen klar kommen und ich schaffe das! Ich setzte meine Kapuze auf, hängte den Gurt der Tasche über meine Schulter und marschierte los. Quer durch Köln-Mühlheim. Mitten im Regen. Das Wasser lief schnell neben dem Bürgersteig. Meine Chucks weichten mehr und mehr durch. Mit gesenktem Kopf lief ich weiter. Ein Auto fuhr durch eine Pfütze an mir vorbei und das Wasser spritzte hoch. Nun war auch noch meine Lieblingsjeans nass und dreckig. Alles hatte sich heute gegen mich verschworen, alles.
Obwohl ich nicht wollte, liefen mir die Tränen über die Wangen. Ich wischte sie mit dem Jackenärmel fort und plötzlich fiel mir etwas auf. Die langgezogene Messehalle kannte ich. Ich war in Köln-Deutz. Hier ganz in der Nähe wohnte meine Patentante Anouk!
Die war zwar auch Mamas beste Freundin, aber Anouk weiß noch, wie schwierig es ist, wenn man zwölf ist. Auf meine Patentante konnte ich mich verlassen, das wusste ich. Dann stand ich nass und verfroren vor der Haustür von Anouk und drückte den Klingelknopf.
Jungsgeheimnisse
A ls ich in der obersten Etage ankam, wo meine Paten tante wohnt, stand sie mit dem Telefonhörer an dem einen Ohr am Treppengeländer und sagte eilig: »Tatsächlich, sie ist hier, Beatrix. Ich melde mich später.« Anouk eilte mir entgegen. »Mon Dieu«, rief sie und dann folgte ein Schwall auf Französisch, von dem ich so gut wie nichts verstand. »Ach, excuse-moi, immer spreche ich Französisch, wenn ich aufgeregt bin«, entschuldigte sie sich und blickte mich voller Sorge an. »Ma petite, was ist passiert? Bist du verletzt?«
Erst schüttelte ich stumm den Kopf und holte Luft, um zu antworten. In diesem Moment spürte ich, wie furchtbar weh alles in mir tat. Ich legte die Hand auf mein Herz, nickte und flüsterte: »Ja, hier!«
»Oh, Herzschmerz ist schlimm, n’est pas?«, sagte Anouk und führte mich in ihre Wohnung. »Schnell, raus mit dir aus den nassen Sachen und schön heiß duschen.«
Als ich in ein riesiges Badelaken gewickelt aus der Dusche kam, waberten Dampfschwaden durch das Badezimmer. Nun fühlte ich mich nicht mehr ganz so verzweifelt. Anouk nahm meine Hand und zog mich zu ihrem Kleiderschrank. »Na, nach welcher Farbe ist dir heute?«, fragte sie, während ihre Hand über eine lange Reihe von Kleiderbügeln fuhr. Ich glaube, meine Patentante ist die einzige Erwachsene, die in so einer Situation nicht sagt: ›Mal sehen, was dir halbwegs passt.‹ Mein Glück ist allerdings auch, dass Anouk zierlich und nicht allzu groß ist. So saß ich wenig später in ihrem langen schwarzen Tunika-Pullover, zu dem ich mir noch einen eleganten Gürtel ausleihen durfte, auf dem Sofa. Ich zog meine Beine an, die in bestimmt sündhaft teuren und superweichen
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