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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Erstaunlich, immer dasselbe Gesicht. Oder ist das nur ein Trick? Natürlich ändert man sich laufend, im Gesicht und überhaupt. Jede Sekunde, die verstreicht, bist du jemand anderes. Unaufhaltsam. Die Uhr tickt, alles ist normal, und doch hat man so ein ungewisses Kribbeln im Bauch. Was passiert mit dir, wer wirst du sein? Manchmal würde ich am liebsten die Zeit vorspulen und hätte mein künftiges Gesicht schon jetzt.
    Nach der Sache mit dem Spiegel reihe ich auf meinem Tisch ein paar Bücher und Papiere aneinander, scharf an der Kante, damit es einen glatten Abschluss gibt. Ich rücke sie so, dass keines das andere berührt und die Abstände überall gleich sind. Aber nur nach Augenmaß, ich nehme kein Lineal oder was Ähnliches. Das mache ich seit etwa einem Jahr so, Dinge aneinanderreihen. Es ist wie mit dem Haareausreißen. Im Grunde etwas Magisches, ein Zauber gegen die Unendlichkeit.
    Als Pa ins Zimmer kommt, sitze ich auf dem Bett. Vielleicht sitze ich schon eine Stunde da, keine Ahnung.
    «Eigentlich wollte ich duschen», sage ich. «Habe ich ganz vergessen.»
    Er setzt sich neben mich und versucht mich anzusehen, nur ist er nicht mehr so gut darin. Seine Augen sind flatterig, fast, als hätte er Angst vor mir. Früher hat er mir immer übers Haar gestrichen, aber das ist praktisch tausend Jahre her, als ich ein Baby war. Trotzdem, es ist schön, nur wir beide so nebeneinander. Aber dann platzt sie herein, steckt ihren Kopf durch die Tür.
    «Ich weiß», sage ich, ohne dass sie etwas sagen müsste.
Ich weiß, Ma.
    «Alles in Ordnung mit dir?», fragt sie. Aber nicht einmal das ist eine echte Frage. Ich wünschte, sie wäre echt, aber sie ist es nicht.
    Pa steht auf, er streichelt mein speckiges Haar, und ich müsste mich wohl schämen, aber was soll’s, wo mir doch alles egal ist. Scheißegal, das gehört zum Gemeinsein dazu. Und dazu gehört auch der Gedanke, der mir plötzlich durch den Kopf schießt. Der Gedanke, es könnte ja die eigene Mutter sein, die aus den Haaren ihrer Tochter eine Puppe macht und das Puppenkind ins Feuer wirft. Sie würde zuschauen, wie es von den Flammen aufgefressen wird, und dann lachend ins Bett abtanzen, Sex haben und Dufttröpfchen über das ganze Laken bluten, als wäre nichts dabei. Das traue ich ihr glatt zu.
    Aber verstehen Sie mich nicht falsch. Ich liebe sie. Auch das gehört zu meinen Geheimnissen.
    Die Krux ist, ich
kann sie nicht lieben
, nicht in der wirklichen Welt. Es wäre entwürdigend für mich. Jemanden zu lieben, der einen verachtet, und bei ihr ist das einfach drin. Sie sollten nur ihre Augen sehen, welche Blicke sie mir zuwirft. Außerdem ist sie schon gar keine Mutter mehr, nur ein Planet mit einem Gesicht. Pa hat wenigstens Hände.
    «Gute Nacht, Ma», sage ich. «Gute Nacht, Pa.» Und sie lassen mich einfach so, da wird nicht lange gefackelt. Raus,
husch, husch
, und wo gehen sie hin? Ich weiß nur, dass ich nicht müde bin, dass ich keine blöde Dusche nehmen und kein bescheuertes Buch über die Könige von Spanien für die Schule lesen werde. Ich werde einfach auf diesem Bett sitzen, und wenn ich mir ein paar Haare aus dem Kopf rupfen will, werde ich es tun, und niemand kann mich aufhalten.

    Sechs Haare. Braun, aber bei genauem Hinsehen sind sie da, wo sie aus dem Kopf wachsen, fast rot. Wie die Haare einer anderen Person. Als wäre eine andere Person in mir, die sich gerade sprießend aus meinem Kopf herauswindet. Das ist übrigens kein bisschen unheimlich. Im Gegenteil, ich habe sie erwartet.
    Ich weiß, von dort aus, wo Sie sind, können Sie nichts sehen.
    Sie müssen mir einfach glauben.

Zwei
    Vor einer Woche hat die Schule wieder angefangen, und ich bin überglücklich, dass Anna McDougal, meine beste Freundin, in meiner Klasse ist. Insgesamt ist es eine interessante Mischung dieses Jahr. Niemand außer Anna hat irgendeine Bedeutung für die Geschichte meines Lebens, aber eine Liste kann nicht schaden. Ich mache es kurz, hier nur das Gröbste.
    Libby Harris hat einen grauenhaften Leberfleck mitten auf der Nasenspitze. Eine Schande, wirklich, weil sie eigentlich sehr ruhig und nett ist. Ihr Vater ist Rechtsanwalt, da bekommt sie sicher irgendwann eine Schönheitsoperation.
    Sal Verazzo hat es glorreich zum Fettesten in der ganzen Schule gebracht. Schwarzes Haar, riecht verdächtig nach Schuhcreme. Er hält sich für einen Rockstar. Vollkommen gestört.
    Sue Fleishman ist groß, mit lockigem Haar. Sie geht nicht, sondern schliddert gleichsam

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