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Mathilda Savitch - Roman

Mathilda Savitch - Roman

Titel: Mathilda Savitch - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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mehr zu und starrte in das magische Blau ihrer Augen. Anna hat Augen, dienicht jeder hat. Die meisten Leute haben nur Löcher im Gesicht, gerade mal das Biologische, wie Schweine oder Fische. Ganz gewöhnliche Augen, die sagen nicht viel aus. Annas Augen sind außerirdisch, weder tierisch noch menschlich. Manchmal könnte ich Anna küssen, so schön ist sie. Und dann noch blondes Haar. Ich will nur schöne Freundinnen, obwohl ich selbst nicht schön bin. Meine Mutter sagt, ich sei hübsch. Aber ich sehe aus wie ein junges Fohlen. Ungewöhnlich, das kann man wohl sagen.
    Ich schaue Anna an, die nicht genug bekommt von ihrer Seele, aber in meinem Kopf ist immer noch dieses Wort: Gemein. Gemein Gemein Gemein Gemein. Niemeg, wenn man es rückwärts buchstabiert. Ich spiele es im Stillen durch, dann sage ich: «Sei still, Anna, hör zu. Von jetzt an sollst du mich Niemeg nennen.»
    Kommt sie auf den Dreh? Natürlich nicht.
    «Warum», fragt sie. «Was bedeutet das?»
    «Tu es einfach», sage ich. «In Ordnung?»
    «Aber was bedeutet das?», fragt sie wieder.
    Hätte sie wenigstens dieses Mal geschaltet, der Moment wäre perfekt gewesen. In meiner Phantasie geht die Birne in ihrem Kopf an, und vom Wunder des Verstehens beginnt ihr Gesicht zu leuchten. Niemeg, sagt sie und blinzelt mich mit ihren magischen Augen an.
Niemeg
.
    Eine Lesbe bin ich übrigens nicht, nur um das klarzustellen. Mir wurde gesagt, ich sei eine «Künstlernatur», was bedeute, dass meine Gedanken eigene Wege gingen – kein Grund zur Sorge, Mr und Mrs Savitch, welches meine Eltern sind. Der Doktor, der dies sagte, war alt und sah aus wie ein Baum, er ist berühmt an dem College, wo meine Eltern unterrichten, darum mussten sie ihm glauben. Meine Eltern haben auch versucht, berühmt zu werden, aber sie sind nicht sehr weit gekommen. Sie haben jeder ein Buch geschrieben(akademisch, nicht kreativ), aber weder das eine noch das andere hat großen Wirbel gemacht. Beide wollten ein zweites Buch schreiben, aber dazu kam es nicht. Anscheinend hatten sie eine Menge Hoffnungen und Träume damals, in den alten Zeiten.
    Als meine Eltern mit mir zu dem Baum gingen, sagte ich nicht viel. Ich verhielt mich unauffällig, wie sie das nennen.
    «Ist sie ein Einzelkind?», fragte der Baum.
    Pa sagte nichts, und Ma sagte: «Was ist mit Medikamenten?»
    Sie machten sich Sorgen wegen meiner genialen magischen Gedanken. Und wegen der Albträume.
    «Das klingt französisch», sagt Anna.
    «Was?», frage ich.
    «Dieses Wort», sagt Anna. «Wie ich dich nennen soll.»
    «Das klingt doch nicht französisch», sage ich. «Stell dich nicht so dumm an.»
    Sie ist etwas beleidigt.
    «Aber englisch klingt es auch nicht», sagt sie.
    «Richtig», sage ich. «Aber es gibt mehr Sprachen auf der Welt als nur Englisch und Französisch.»
    «Was ist es denn für eine Sprache?», fragt sie.
    Mir bleibt die Spucke weg, wenn sie so penetrant ist.
    «Wahrscheinlich ist es gar keine wirkliche Sprache», sagt sie.
    «Wahrscheinlich nicht», sage ich. «Du wirst es nie herausfinden.»
    Die Leute haben so wenig Phantasie. Jemand wie ich ist grundsätzlich alleine. Wenn ich in der gleichen Welt leben will wie andere, muss ich mich ganz schön anstrengen.
    Ich nehme Annas Hand. Sie ist verwirrt, weil sie glaubt, wir streiten.
    «Was?», fragt sie. Sie traut mir nicht.
    «Nichts», sage ich. «Hab keine Angst.»
    «Ich habe keine Angst», sagt sie.
    «Gut», sage ich. Ich sehe ihr scharf in die Augen.
    «Sag es einfach, ja?»
    «Bitte», sage ich.
    Sie schließt die Augen. Eine sterbenslange Pause.
    «Niemeg», sagt sie.
    Als sie es sagt, muss ich lachen.
    «Mein Gott», sage ich, «das klingt tatsächlich französisch.»
    Sie öffnet die Augen und lächelt, als hätte ihr jemand den zweiten Preis verliehen.
    «Hab ich doch gesagt», sagt sie.
    «Niemeg», sage ich. Und plötzlich fühle ich mich wie der König von Frankreich. «
Nimègue
», sage ich. «
Nimègue

    Jetzt lachen wir beide, fast wie Kinder. Anna ist nur acht Monate jünger als ich, aber manchmal wirkt sie wie ein Magnet, der mich zurückzieht. Die glorreiche Vergangenheit der Kindheit, wo niemand je sterben wird. Es macht nichts, dass Anna etwas langsam ist. Und ehrlich gesagt, viel langsamer als die meisten anderen ist sie auch nicht.
    Abgesehen davon gibt es nur wenige, die außerirdische Augen haben, und bei denen ist es egal, ob sie klug sind oder nicht. Engel beispielsweise sind bestimmt nicht klug. Ich wette, Engel sind dumm.

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