Mathilde Möhring
sondern auf einem weiten Umwege erst an der Rousseau-Insel und dann am Neuen See vorüber. Auch hier war Mutter Möhring zugegen.
Es war rührend, die alte Frau zu sehn. Am Neuen See stieg man einen Augenblick aus, um die Schlittschuhläufer besser zu sehn. Am meisten freute sie sich über die vielen Flaggen und Fahnen, aber bloß über die großen. Von den vielen kleinen meinte sie, sie sähn aus wie Taschentücher auf der Leine. Möhring habe auch solche bunten gehabt, weil er immer am Schnupfen gelitten habe.
So brachte jeder Tag was Neues. Das Glanzstück war aber ein Diner apart bei Hiller, zu dem auch Rybinski geladen war, natürlich mit Braut. Bei diesem Diner fehlte die Alte, weil sie, wohl in Folge der Fahrt durch den Tiergarten und zu langen Stehens im Schnee, um die Schlittschuhläufer besser sehn zu können, ihren Hexenschuß gekriegt hatte. Hugo war damit zufrieden und diesmal auch Thilde, die bald einsehn mußte, daß Hiller kein Lokal für die Mutter war.
Rybinski sprach von seinen neusten Bühnentriumphen und machte damit einen großen Eindruck auf seinen Freund und Landsmann, was Thilde mit Sorge sah. Es kam ihr aber Hülfe. Bella, die die ganze Kunstfrage großartig superior behandelte, lachte beständig, wenn das Wort Talent fiel, und sagte, das gänzliche Fehlen davon sei es ja gerade, was ihr ihren Hans so unaussprechlich teuer mache. Talent! Talente gäbe es so viele, sie erschräke schon immer, wenn sie von einem neuen höre, aber es gäbe nur einen Hans von Rybinski. Der wöge ihr zehn Talente auf; sie sei für das schön Menschliche und in der Liebe für das Übermenschliche.
»Glaubt ihr nicht«, sagte Rybinski gutmütig, »mein Kosinsky hat ihr Herz erobert. Ein mir unvergeßlicher Moment. An demselben Abende begann unser Glück.«
»Da sagt er die Wahrheit. Aber warum war es so? Als Kosinsky war er er selbst. Schade, daß die Rolle nicht bedeutender ist und daß man sie drüben nicht recht kennt. Ich ginge sonst mit ihm nach Amerika rüber, immer querdurch, und wenn wir bei San Francisco wieder herauskämen, wären wir Millionäre. Jeden Tag bloß Kosinsky mit Polenmütze und Silbersporen.«
Rybinski trank auf das Brautpaar, und Hugo hätte diesen Toast in gleicher Form eigentlich erwidern und auch von einem »Brautpaar« sprechen müssen. Das konnt er aber doch nicht übers Herz bringen und begnügte sich, die Kunst leben zu lassen und zwei liebenswürdige und befreundete Herzen und dergleichen mehr.
Und nun ging die Weihnachtswoche zu Rüste, der 31. Dezember war da, und die Frage war, ob man in eine Silvestervorstellung mit Schlußakt im Café Bauer gehn oder aber zu Hause bleiben und einen guten Punsch machen und gießen wolle. Man entschied sich für das letztre, weil die alte Möhring zwar schon wieder außer Bett war, aber doch immer noch Schmerzen hatte. Geladen wurde nur der Vetter Architekt, und Ulrike sollte ganz wie am Weihnachtsabend aufwarten. »Die Alte kann ich nicht sehn«, hatte Hugo erklärt. Das mußte berücksichtigt werden, aber man wollte sie doch auch nicht ganz weglassen, und so saß sie draußen in der Küche und hielt den großen Blechlöffel, in dem Thilde das Blei schmolz. Als diese gegossen hatte, konnte nur noch die Frage sein, was es sei. Die Runtschen hielt es für eine »Krone«, Ulrike aber ging weiter und sprach von »Wiege«. Mathilde, die Verlegenwerden albern fand, bestritt Ulrikens Auslegung und behauptete nur, »das ginge nicht«, worauf Ulrike meinte: »Gott, Fräulein, es geht alles.« Denn Ulrike war eine sehr schlaue Person, die ihr Geschlecht kannte. Nur freilich bei Thilde verfing es nicht.
Diese ging mit der »Krone«, oder was es sonst war, in das Vorderzimmer zurück, wo man eine Weile weiterorakelte, bis Hugo die Gläser mit einem guten, nach eignem Rezept gemachten Punsch füllte. Seines Vaters Haus war berühmt in Punsch gewesen. Der Alte hatte solche Spezialitäten. Und nun nahm der Vetter Architekt wie schon am Weihnachtsabend wieder das Wort und trank auf ein glückliches neues [Jahr].
Es war noch nicht viel nach Mitternacht, als Mutter und Tochter wieder allein in ihrem Zimmer waren. Es war etwas stickig, eine merkwürdige Luftmischung von Punsch, Wachsstock und türk'schem Tabak, so daß Thilde sagte: »Mutter, wenn es dir nicht schadet, ich möchte wohl das Fenster noch ein bißchen aufmachen.«
»Ja, mach auf, Thilde. Was soll es mir am Ende schaden. Und dann ist mir auch so sonderbar zumut und so feierlich, und weil
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