Mathilde Möhring
ist sonderbar, daß mir alles Praktische so sehr widerstreitet. Man kann es eine Schwäche nennen, aber vielleicht ist es auch eine Stärke. Wenn ich solche schöne Person durch die Luft fliegen sehe, bin ich wie benommen und eigentlich beinah glücklich. Ich hätte doch wohl so was werden müssen, ausübender Künstler oder Luftschiffer oder irgendwas recht Phantastisches. Oder Tierbändiger, das hat von klein an einen besondren Reiz für mich gehabt. Es soll auch alles nicht so gefährlich sein, wie's aussieht; sie machen sich etwas Moschus oder Zibet ins Haar, dann schnappt er nicht zu. Gott, wenn Thilde wüßte, daß ich so verwogne Gedanken habe. Nun, Gedanken sind zollfrei, und es zieht nur so über mich hin. Wenn ich ernsthaft zusehe, seh ich, daß alles lächerlich ist. Tierbändiger. Und dabei hat mich Thilde in Händen; sie denkt, ich merke es nicht, aber ich merke es recht gut. Ich laß es gehn, weil ich es so am besten finde. Schließlich is man, wie man is... Und wenn ich nur so leidlich bequem durchkomme...«
Bei dieser Stelle seiner Betrachtung war er bis vor Schultzes Palazzo angelangt und sah hinauf. Schultze stand in Samtschlafrock und türkischem Fez am Fenster und grüßte gnädig hinunter, wobei er seinen Fez zog. Hugo erwiderte den Gruß, war aber nicht sehr erbaut davon, weil sich in dem Ganzen was von Überhebung aussprach, jedenfalls nicht viel Respekt. Und nun stieg er hinauf. Das Messingschild eine Treppe hoch war glänzend geputzt, und ein Hausmädchen mit kokettem Häubchen und Tändelschürze, das Schultze selbst ausgewählt hatte, stand auf dem Vorflur am Treppengeländer und sah in den Hausflur hinunter. Als Hugo vorüberging, wandte sie sich und grüßte sehr artig, aber mit einem Gefühl von Überlegenheit über ihn oder eigentlich über Thilde. Hugo fühlte es heraus und kam ziemlich kleinlaut oben an. Ein Glück war, daß er solchen Stimmungen ebenso rasch entrissen werden konnte, wie sie ihm kamen. Als er oben war, dachte er wieder an die Reichshallen und das Bild auf dem Zettel, und wieder gehoben in seiner Stimmung, trat er in das Entree, legte den Überzieher ab und ging zu Möhrings hinüber.
Er fand nur Thilde, die merkwürdig gut aussah und sich ihm in einem neuen Kleide präsentierte. Die Alte war nicht da.
»Guten Tag, Thilde, und viel Glück zum Neujahr. Aber wo ist denn die Mutter?«
»Die wollte zwei Neujahrsbesuche machen bei Schmädickes und bei Donners. Das sind noch alte Hausbekannte, als wir noch in der Stralauer Straße wohnten.«
»Davon hab ich ja nie gehört.«
»Kann auch nich. Sie machen sich nichts aus uns, und wir machen uns nichts aus ihnen, sehr langweilig und sehr ungebildet, aber Mutter hat so alte Sätze: ›Man soll alte gute Freunde nicht aufgeben‹, als ob es alte Freunde wären. Aber es sind keine, bloß alt sind sie, das is richtig, aber alle Neujahr geht Mutter hin. Ich denke mir, es is ein bißchen Neugier. Und nu sage, wo warst du?«
Hugo berichtete getreulich, und während sich Thilde auf das Sofa und Hugo dicht neben sie setzte, sprach er auch von der Litfaßsäule und daß sie heut abend in die Reichshallen wollten, da wäre die »Tochter der Luft«, eine pompöse Person und doch ganz ätherisch. Die Mutter könne ja gut mitkommen.
Thilde sah ihn an und lächelte. Dann nahm sie seine Hand und sagte: »Reichshallen. Nein, Hugo, das ist nun vorbei. Wir waren nu von Heiligabend bis Silvester jeden Tag aus oder hatten unsern Punsch, und einmal waren wir in einem ganz feinen Lokal, ich möchte beinah sagen über unsren Stand und unsre Verhältnisse; aber nun ist es genug, und nu müssen wir anfangen.«
»Ja womit denn, Thilde?«
»Nimm es mir nicht übel, aber so was kannst nur du fragen. Willst du mir erlauben, dir offen meine Meinung zu sagen, und willst du mir versprechen, mir nichts übelzunehmen und von vornherein davon auszugehn, daß ich's gut meine mit dir und allerdings auch mit mir.«
»Gewiß, Thilde. Sprich nur, ich weiß ja, daß es immer was Vernünftiges ist, was du sagst. Mitunter ein bißchen zu sehr. Aber in dieser Woche habe ich dich auch von der lebelustigen Seite kennengelernt.«
»Und das sollst du auch weiter, Hugo. Ich bin gar nicht so schlimm und so schrecklich vernünftig, wie manche glauben. Ich bin auch für Sichputzen und für Vergnügen. Aber mit Arbeit muß es anfangen. Daß wir arme Leute sind, weißt du, und daß du nicht reich bist, weißt du auch. Zweimal null macht null. Und mit Null kann man nicht
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