Mathilde Möhring
deutlich einsah, daß sie zur Erreichung ihrer Zwecke der Fortdauer guter Beziehungen zu Rybinski durchaus bedurfte. Wenn ihr feststand, wie sie Hugo zu trainieren habe, so stand ihr auch ebenso fest, daß sie so was wie Zuckerbrot beständig in Reserve haben müsse, um Hugo bei Lust und Liebe zu erhalten, und dazu war Rybinski wie geschaffen. Überhaupt nur nichts Gewaltsames, nur nichts übereilen. Alles mit Erholungspausen.
Ihrem natürlichen Gefühle nach hätte sie den ersten Feiertag nicht vorübergehn lassen, ohne mit ihrem Bräutigam über ihre Zukunft zu sprechen und ein bestimmtes Programm aufzustellen, aber in ihrer Klugheit empfand sie, daß etwas Nüchternes und Prosaisches darin liegen würde, den Tag nach der Verlobung, der noch dazu der erste Weihnachtsfeiertag war, zu Behandlung solcher Fragen heranziehen zu wollen, und so bezwang sie sich und nahm sich vor, ihm eine Woche Weihnachtsferien zu bewilligen und ihn zu kleinen Vergnügungen anzuregen. Er sollte sehn, wie gut er's auch im Behaglichen getroffen habe und daß Thilde durchaus verstehe, sich seinen Wünschen anzupassen. Am Ende dieser Ferienwoche wollte sie dann mit der Prosa herausrücken, unter Hinweis darauf, daß ohne Durchführung ihres Programms von Glück und Zufriedenheit und überhaupt von einem Zustandekommen ihrer Ehe gar keine Rede sein könne.
Zehntes Kapitel
Ja, diese Ferienwoche! Thilde war wie nicht zum Wiedererkennen und schien eine Verschwenderin geworden.
»Hugo, das ist nun unsre Flitterwoche, wenn ich mir solch Wort, das uns eigentlich nicht zukommt, erlauben darf. Aber ich will es mir erlauben. Es ist so schön, solche Erinnerung zu haben, und ich denk es mir hübsch, wenn wir mal alt geworden sind, von solcher Zeit sprechen zu können. Und drum muß alles wie Sonnenschein sein, und wir wollen es so recht genießen.«
Hugo hielt Thildens Hand und sagte: »Das ist recht, Thilde; das freut mich, daß du so sprichst. Ich dachte, du hättest so nicht den rechten Sinn dafür, für die Freude, für das süße Nichtstun, was doch eigentlich das Beste bleibt.«
Thilde hielt es nicht für klug, ihn eines andern [zu] belehren; sie schwieg unter freundlichem Lächeln, und Hugo fuhr fort: »Und dachte, du wärest immer nur für Pflicht und Ordnung und Stundehalten, was mir, sosehr es mir gefiel, doch auch wieder ängstlich war, weil man auch im Guten zuviel tun kann. Und nun sehe ich, daß ich eine heitre, lebenslustige Braut habe. Ja, das ist beinah mir die Hauptsache. Nun sage, was nehmen wir heute vor? Aber wähle nicht ängstlich und sprich nicht von Geld und bescheidnen Verhältnissen. Wenn man sich verlobt hat, da darf man in nichts ängstlich sein und muß einem zumute sein, wie wenn man das Tischleindeckedich hätte.«
»Nun«, sagte sie, »dann wollen wir ins Opernhaus, Proszeniumsloge. Vielleicht haben wir den Kaiser vis à vis.«
»Ach, Thilde, so darfst du nicht sprechen. Ein bißchen Spott is gut, das kleidet. Aber nicht so. Da werd ich wieder irr an dir.«
»Nun, dann wollen wir zu Kroll und uns die Weihnachtspantomime ansehn.«
Er stimmte freudig zu, fragte dann aber: »Und die Mutter? Werden wir sie mitnehmen müssen?«
»Wir werden es ihr wenigstens anbieten müssen. Vielleicht, daß sie nein sagt. Ich bekenne, daß ich gerne mit dir allein wäre. Solche Freude genießt sich am schönsten zu zweien.«
Hugo war glücklich. Er entdeckte Seiten in seiner Braut, die ihm Perspektiven auf ein höheres und feineres Glück eröffneten, als er an jenem Abend des ersten Geständnisses erwartet hatte. Was damals in ihm lebte, war eine Dankbarkeit, war ein weiches, sentimentales Gefühl, in dem die voraufgegangne Krankheit noch nachspukte. Jetzt schien es ihm, daß Thilde warmer Gefühle fähig sei, vielleicht sogar einer Leidenschaft. Und seine Brust hob sich.
So begann die Festwoche. Man ging zu Kroll und vergnügte sich ganz leidlich, trotz Gegenwart der Mutter, die nach anfänglicher Ablehnung ihren Entschluß geändert hatte, als sie hörte, daß »Schneewittchen und die sieben Zwerge« gegeben würde. Thilde war eigentlich froh darüber; der Alten eine Freude zu machen war ihr eigentlich wichtiger als alles andre. Was sie da von »Genießen zu zweien« gesprochen hatte, war nur so hingesagt, weil sie wußte, daß Hugo gerne so was hörte.
Am zweiten Feiertage fuhr man in einer offnen Droschke, deren Vorbau den Wind abhalten mußte, nach Charlottenburg hinaus, aber nicht die große Chaussee hinunter,
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