Mathilde Möhring
hier... Zahnschmerzen. Der halbe Backzahn is weg.«
»Na, aber wie denn?«
»Ja, wie das so geht. Da hatt ich mir nu das Bäumchen angesteckt und sein Bild druntergestellt und wollte seine Briefe noch mal lesen, das heißt, bloß die ersten, wo er noch wie rapplig war. Er war so. Und als ich da nu so sitze und lese und den Teller ranrücke und zu knabbern anfange, erst ein kleines Marzipanherz und dann eine Pfeffernuß und dann ein Stück Steinpflaster, da beiß ich in das Steinpflaster rein, grad an eine Mandelstelle, und da sitzt nu grade ein Stück Mandelschale, was man ja nich sehn kann, weil alles dieselbe Farbe hat, und weil ich scharf zubiß, war der halbe Zahn weg.«
»Un mit runtergeschluckt?«
»Nein, so weit kam es gar nicht. Es tat gleich so weh, und ich kriegte gleich solchen Schreck, daß ich darauf verzichtete. Und war immer, als säße noch was drin, und ich holte mir eine Stopfnadel. Aber da wurd es immer toller, und ich fing beinah an zu schrein. Ein Glück, daß ich warm Wasser im Ofen hatte. Da hab ich dann gespült und gespült, und nu hat es sich beruhigt. Und nu sagen Sie, Runtschen, wie war es eigentlich? Setzen Sie sich auf den Rohrstuhl, aber nicht zu nah, da neben den Ofen, ein bißchen Wärme wird er wohl noch haben.«
»Ja, Frau Leutnant, wie soll es gewesen sein? Sehr fein war es. Rechnungsrat Schultze war auch da...«
»Mit ihr?«
»Nein.«
»Na, das konnt ich mir denken. Er nimmt es nicht so genau, die Rätin aber hält auf sich, wie alle Frauen. Und wer war denn noch da?«
»Ja, die Namens weiß ich nich, Frau Leutnant. Bloß eine Braut war noch da, die sie Fräulein Bella nannten, und alle sehr drum rum, weil sie sehr hübsch [war]. Schultze fand es auch, und was denken Sie wohl, was sie Ulrike gegeben hat? Die war nämlich auch mit da und mußte runterleuchten.«
» Ja, wer will das sagen.«
»Einen richtigen Taler hat ihr das Fräulein gegeben.«
»Ach, das ist ja Unsinn.«
»Nein, Frau Leutnant, es ist so. Ulrike hat es mir alles erzählt und wird doch nich mehr gesagt haben, weil sie mit mir teilen mußte. Das heißt, müssen war es eigentlich nich. Und wie Ulrike die Lampe hingesetzt hatte und aufschließen wollte, [sagte das Fräulein:] ›Hans, gib mir mal dein Portemonnaie‹, und dann nahm sie's heraus und sagte: ›Wir berechnen uns morgen.‹ Und es ist nur schade, daß es Schultze nicht mehr hörte, oder vielleicht war es auch nicht gut. Der war schon vorher ganz weg, und es war wohl gut für ihn, daß er allein gekommen war.«
»Und wie war denn die Braut? Was hatte sie an?«
»Ihr lila Seidnes mit 'm Einsatz.«
»Und war wohl eine große Zärtlichkeit? Solche, wie Fräulein Thilde, wenn's da mal kommt, die sind immer sehr zärtlich.«
»Nich daß ich sagen könnte, Frau Leutnant. Ich habe nichts gesehn, und die Wohnung ist so, daß man eigentlich alles sehn muß. Alles wie aufs Tempelhofer Feld und kein Vorhang und keine Schirme. Und Lichter waren überall. Fräulein Thilde war auch immer bloß um die Schüsseln rum und präsentierte, wenn Ulrike nich da war, und der Herr Hugo, was der Bräutgam is, der stand immer so da und sah so genierlich vor sich hin, und als ein Ältlicher, aber noch nich so ältlich wie Schultze, das Brautpaar leben ließ, da sah er so verflixt aus, als wenn er nich so recht zufrieden wäre.«
»Kann ich mir denken.«
»Oder eigentlich bloß, als ob er gar nich so recht da wäre. Vielleicht is das noch so von seiner Krankheit, denn ein bißchen spack sieht er noch aus, oder vielleicht is es auch nich ganz richtig mit ihm.«
»Das is es, Runtschen; es ist nich ganz richtig mit ihm... Und wenn Sie gehn, nehmen Sie sich das Steinpflaster mit, das noch neben dem Baum liegt, aber sehn Sie sich vor damit.«
»Ach, Frau Leutnant, bei mir is es nich mehr ängstlich.«
Thilde war am andern Morgen in einer gehobnen Stimmung. Sie war nun Braut, und das andre mußte sich von selber geben. Solange sie bloß Fräulein Thilde war, die den Tee zu bringen und eine Bestellung auszurichten hatte, da lag die Sache noch schwierig genug, jetzt aber hatte sie das Recht, zu sprechen und zu handeln. Das mit den Theaterstücken war ein Unsinn und mit dem ewigen Lesen auch, und Rybinski und seine Braut – die ihr übrigens, trotzdem sie klarsah in allem, sehr gut gefallen hatte – mußten über kurz oder lang beseitigt werden. Rybinski war eine Gefahr, noch dazu eine komplizierte. Zunächst aber konnte von einem Vorgehn keine Rede sein, weil sie
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