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Mathilde Möhring

Mathilde Möhring

Titel: Mathilde Möhring Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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grade Neujahrsnacht ist, ich möchte wohl die Singuhr spielen hören. Die spielt immer so was Schönes und Frommes.«
    Thilde rückte der Alten einen Lehnstuhl ans Fenster, aber so, daß sie der Zug nicht traf. Dann sagte sie: »Ja, Mutter, die Singuhr. Du denkst immer noch, du wohnst Stralauer Straße; da wohnen wir doch aber nich mehr. Und dann, Mitternacht is ja nu schon lange vorbei, und die Singuhr muß sich doch auch ein bißchen ausruhn.«
    »Ja, du hast recht, Thilde. Ich vergeß es immer. Ich weiß nicht, ich bin doch noch nicht so alt, aber ich bin schon so taprig, mitunter denk ich, es is gar kein Unterschied mehr zwischen der Runtschen und mir.«
    »Das mußt du nich sagen, Mutter. Du hast überhaupt so was Kleines und Ängstliches. Und man muß sich nicht zu klein machen, dann machen einen die Leute immer noch kleiner.«
    »Ja, das is schon richtig, aber man muß sich auch nich zu groß machen, und daß wir die Ulrike wieder hier hatten, die bloß immer die Augen so schmeißt und immer denkt, sie is es, und die alte Runtschen mußte draußen sitzen und den Gieße-Löffel halten, und ich sah woll, wie ihr die Hand zitterte, weil sie recht gut gemerkt hat, daß wir sie hier vorne nich mehr sehn wollen – ja, Thilde, das is, wo ich so sage, man soll sich auch nich zu groß machen. Und wenn du sagen willst, daß wir es nich sind und daß bloß unser Herr Hugo es nich will, ja warum will er es nich? Daß sie das Pflaster hat, na, das is ein Unglück, und die meisten haben eins. Und ich sage dir, Hochmut kommt vorm Fall. Und so hoch ist er doch auch nich.«
    »Ach, Mutter, was du da wieder alles redst. Na, nachher davon. Aber nu komm erst in die Schlafstube, hier zieht es doch ein bißchen. Und wenn du nicht willst, na, dann bleibe noch, aber das Fenster will ich wieder zumachen.«
    »Ja, Thilde, das tu, ich kriege sonst mein Reißen wieder.«
    »Und das mit der Runtschen und mit Hugo, da hast du ganz unrecht, und ich freue mich, daß er so is, wie er is.«
    »Ja, es is aber doch wie ein hartes Herz und eine Grausamkeit...«
    »Ach Unsinn, Mutter. Wenn
der
ein hartes Herz hat, hat jedes Kaninchen auch eins. Ein zu weiches Herz hat er, das is es, und das muß ich ihm abgewöhnen. Denn die, die ein zu weiches haben, sind immer faul und bequem und können auch nich anders, weil alles was hier sitzt, keinen rechten Schlag hat.«
    »Meinst du, Thilde?«
    »Ja, Mutter, wenn man verlobt ist, hört man ja mitunter den Schlag, weil man sich so nahe kommt, und geht auch nicht anders, und wenn man anders wollte, so wär es wie Ziererei. Ja, was denkst du, was er für 'n Herzschlag hat? Wie 'ne Taschenuhr.«
    »Am Ende war es auch so.«
    »Nein, es war sein Herz. Und das einzige Gute ist, und deshalb is das so wichtig mit der Runtschen, wenn er was Häßliches sieht, dann schlägt es besser, und dann hat er ein starkes menschliches Gefühl und beinah männlich, und ein so guter Mensch er ist, das Liebste an ihm ist mir doch, daß er immer einen so furchtbaren Schreck kriegt, wenn er den Runtschen[schen] Kiepenhut sieht und all das andre. Es ist mir ja leid. Aber er steht mir doch näher, und du glaubst gar nich, wie wichtig das is. Sieh, Mutter, mit einem schwachen Menschen ist eigentlich nich recht was zu machen. Aber man muß auch nich zuviel verlangen, und wenn einer bloß so viel hat, daß er sagen kann: ›Thilde, die Runtschen muß draußen bleiben‹, so is das schon ganz gut. Denn wer so furchtbar gegen das Häßliche ist, der kommt auch zu Kräften, wenn er was sehr Hübsches sieht.«
    »Ach, Thilde, das is ja das allerschlimmste, das kenn ich auch, damit komme mir nich.«
    »Ja, Mutter, gerade damit komm ich. Du denkst immer bloß an Ulriken und an Schultzen unten. Aber das is nich die richtige Hübschigkeit, das is, was man das Untre nennt...«
    »Ja, ja.«
    »Das Untre, das Niedre. Daneben gibt es aber auch was, das ist das Höhere. Und sieh, wer das hat, der kann auch das Schwache stark machen. Lange vor hält es wohl nich, aber es kommt doch, es ist doch da. Und wie er gegen das Häßliche is, so is er auch gegen das Schlechte, und wie er für das Hübsche is, für das richtige Hübsche, so is er auch für das Gute. Und ist sogar für Tugend, ich habe die Beweise davon. Und dies habe ich dir alles sagen müssen, damit du mir nich wieder mit der Alten draußen kommst. Daß er so gegen die Runtschen is, das ist mein Hoffnungsanker. Und nu komm, Mutter, es ist ja schon über eins, und morgen is ein schwerer

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